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Nazis und der Nahe Osten
Wie der islamische Antisemitismus entstand
Hamburg, den 26. September 2008
In den Vereinten Nationen gab es eine Premiere: Am Dienstag dieser Woche wurde die Rednertribüne der Vollversammlung erstmals für unverhohlene antisemitische Aufstachelung genutzt. Ausgerechnet vor jener Organisation, die im Widerstand gegen die Nazis und als die Quintessenz der Lehren aus den Verbrechen des II. Weltkriegs gegründet worden war – ausgerechnet im UN-Hauptquartier konnte am 23. September 2008 die antijüdische Paranoia eines Adolf Hitlers fröhliche Urständ feiern.
Dass Ahmadinejad seine UN-Auftritte zu Predigten umfunktionieren pflegt, in denen die Wiederankunft des schiitischen Messias herbeigesehnt wird (fünf Stoßgebete für den 12. Imam waren es in diesem Jahr) – ist entsetzlich genug. Diesmal aber war seine Rede zusätzlich von den „Protokollen der Weisen von Zion“ inspiriert.
Auf der einen Seite, erklärte er den Delegierten aus aller Welt, stünden „die Würde, die Integrität und die Rechte der amerikanischen und europäischen Völker“ und auf der anderen Seite deren ewiger Feind: „die kleine aber hinterlistige Zahl von Leuten namens Zionisten.“
Obwohl sie nur eine unbedeutende Minderheit seien, belehrte er die Weltgemeinschaft, „beherrschen sie in einer tückischen, komplexen und verstohlenen Art und Weise einen wichtigen Teil der finanziellen Zentren sowie der politischen Entscheidungszentren einiger europäischer Länder und der USA.“ Zionistische Juden seien weltweit derart einflussreich, „dass einige Präsidentschafts – oder Ministerpräsidentschaftskandidaten gezwungen seien, diese Leute zu besuchen, an ihren Zusammenkünften teilzunehmen und ihre Treue und Verpflichtung gegenüber ihren Interessen zu schwören, um finanzielle und mediale Unterstützung zu erhalten.“
Doch auch „die großen Völker Amerikas und verschiedene Nationen in Europa“ seien im jüdischen Griff: Sie „müssen einer kleinen Zahl habgieriger und aggressiver Leute gehorchen. Obwohl sie es nicht wollen, überlassen diese Nationen ihre Würde und ihre Ressourcen den Verbrechen, Besatzungen und Bedrohungen des zionistischen Netzwerks.“
Doch Befreiung ist in Sicht: Unaufhaltsam, so Ahmadinejad, „schliddert das zionistische Regime in den Zusammenbruch.“ Es habe nicht die geringste Chance, „aus der von ihm selbst und seinen Unterstützern erzeugten Jauchegrube wieder herauszukommen.“
Natürlich ist der Antisemitismus, den Ahmadinejad in New York predigte, nicht neu. Schon im Dezember 2006 hatte er vor der internationalen Konferenz der Holocaust-Leugner in Teheran die Auslöschung Israels als den wichtigsten Schritt zur „Befreiung für die Menschheit“ propagiert und damit eben jenem „Erlösungsantisemitismus“ (Saul Friedländer) das Wort gesprochen, der schon dem „Befreiungswerk“ der Nazis zugrunde lag.
Neu ist, dass Irans Präsident damit vor den Vereinten Nationen reüssiert – und damit durchkommt und gar Beifall erhält! In Deutschland war es zwar nur die „Junge Welt“, die als inoffizielles Parteiorgan der Mullahs auch diese Rede feierte. Doch auch das Schweigen und die Indifferenz in den etwas bedeutsameren Medien ist bemerkenswert.
Nehmen wir einmal an, ein CDU-Abgeordneter würde vor dem Bundestag so sprechen, wie Irans Präsident vor der UN: Der Skandal wäre perfekt. Schlagzeilen, erregte Debatten, Sanktionierungen folgten auf den Fuß. Wenn aber ein muslimischer Führer vor den Vereinten Nationen denselben Antisemitismus verbreitet und mit etwas Antiimperialismus und Erlösungsglaube verrührt, scheint alles irgendwie verständlich und nur halb so schlimm. Man murmelt etwas von „starker Rhetorik“, dreht sich um und schläft weiter.
Dabei ist gerade in Teheran der Abstand zwischen Wort und Mord gering: Ahmadinejad sagt was er will und versucht zu tun was er sagt. Fieberhaft treibt der Iran die Bewaffnung von Hisbollah und Hamas sowie das eigene Atomprogramm voran, um Israels „Zusammenbruch“ zu beschleunigen. Hier kommen Antisemitismus, Atomtechnik und Apokalypse zusammen: Je furchtbarer der Krieg gegen Israel, desto wahrscheinlicher die ersehnte Erscheinung des 12. Imam. „Man muss die Juden bekämpfen und sie besiegen“ empfahl 2005 der einflussreiche iranische Ayatollah Nouri-Hamedani, „um so die Voraussetzungen für die Ankunft der verborgenen Imam zu erfüllen.“
Hat sich Deutschland mit der Vernichtungsabsicht gegenüber Israel arrangiert? Die Reaktionen der Medien auf Ahmadinejads jüngsten UN-Auftritt legen diesen Eindruck nah: Dessen Antisemitismus wurde entweder nicht erkannt oder nicht benannt.
Dabei hatte das „A-Wort“ letztens in den Feuilletons eine riesige Rolle gespielt. Von „moralischem Totschlag“, von „verbaler Aggression“, von dem Versuch der Einschüchterung war die Rede. Damit war aber nicht der Antisemitismus eines Ahmadinejad gemeint, oder die Judenfeindschaft des Hamas-Ministers Atallah Abu Al-Subh, der im Fernsehsender der Hamas „Die Protokolle der Weisen von Zion“ – Hitlers Textbuch für den Holocaust – zur allgemeinen Lektüre empfahl.
Vielmehr standen mit Henryk Broder die Kritiker des Antisemitismus unter Beschuss. Nicht die Empörung über den Antisemitismus, sondern die Empörung über jene, die noch „unter jedem Stein nach Antisemiten suchen“ war en vogue. Man hatte den Eindruck, dass sich eine eingeschüchterte deutsche Öffentlichkeit vor „Antisemitismus-Jägern“ kaum noch retten könne.
Heute, da erstmals das Podium der Vereinten Nationen für einen „antizionistischen“ Angriff genutzt wird, dessen antisemitischer Charakter über jeden Zweifel erhaben ist – heute gilt eben dies als diskursive Normalität: Man nimmt die Provokation von New York als solche nicht einmal wahr.
Wird darüber so vielsagend geschwiegen, weil man die deutschen Exportgeschäfte mit dem Iran, die sich nach vorübergehenden Rückschlägen in jüngster Zeit wieder aufwärts entwickeln, nicht beeinträchtigen will?
Wird der iranische Antisemitismus aus Rücksicht auf unsere Koalitionsregierung ignoriert, die im Gegensatz zu London und Paris das Mittel europäischer Wirtschaftssanktionen ablehnt, mit dieser Position aber zunehmend unter Druck gerät?
Oder ist man ehrlichen Herzens damit einverstanden, dass der Unterschied zwischen einer Kritik an Israel oder den USA und dem Hardcore-Antisemitismus der iranischen Machthaber immer mehr verschwimmt?