Antizionismus und Antisemitismus im Gefolge des Holocaust

Über das Anglo-Amerikanische Komitee zur Untersuchung des Problems der europäischen Juden und Palästinas von 1946

Von Matthias Küntzel

Mena-Watch Wien, 20. April 2016

Am 20. April 1946, vor genau 70 Jahren, präsentierte das Anglo-American Committee (AAC) seinen Bericht über das Problem der europäischen Juden und Palästinas. Obwohl dieses Komitee in Vergessenheit geriet, ist seine Arbeit in mehrfacher Hinsicht interessant und für die Analyse des Nahost-Konflikts auch heute noch aufschlussreich.

Es hatte sich am 4. Januar 1946 auf Weisung beider Regierungen konstituiert. Im gehörten sechs amerikanische und sechs britische Spezialisten – Politiker, Juristen, Journalisten – an. Der Abfassung seines 80-seitigen Berichts gingen umfangreiche Zeugenbefragungen in Frankreich, Österreich, Italien, Griechenland, Polen, der Tschechoslowakei, Irak, Syrien, Transjordanien und im Mandatsgebiet voraus.

Auslöser für die Gründung des Komitees war die erbärmliche Situation jüdische Flüchtlinge, die ihre Familien und ihre Existenz in Osteuropa verloren hatten.
1946 waren allein in Westdeutschland 74.000 Jüdinnen und Juden als displaced persons in Lagern interniert. In Frankreich fristeten 20.000 jüdische DPs ihr Dasein, in Österreich 8.000 und in Italien 6.500.[1]

Fast alle hatten nur ein Ziel: Sie wollten nach Palästina, jenen Landstrich, den die Mandatsmacht Großbritannien verwaltete. London wollte dies verhindern. Zwar hatten sich die Tore der Nazi-Lager geöffnet, Großbritannien aber wollte die Tore Palästinas weiter geschlossen halten.

Die Zustände in den DP-Lagern spitzten sich jedoch zu: „Wir scheinen die Juden zu behandeln, wie es die Nazis vor uns getan haben, nur, dass wir sie nicht ausrotten“, klagte im August 1945 Earl Harrison, ein amerikanischer Jurist, den US- Präsident Harry Truman beauftragt hatte, die Lebensumstände der jüdischen DPs zu untersuchen. „Ihr Leben in überfüllten, oft unhygienischen Lagern hinter Stacheldraht gleicht dem in einigen notorischen Konzentrationslagern.“[2]

Also schrieb Harry Truman seinem britischen Amtskollegen, dem Premierminister Clement Attlee, einen Brief, in welchem er ihn aufforderte, das Mandatsgebiet Palästina für 100.000 Jüdinnen und Juden unverzüglich zu öffnen.

Der britische Premier wies diese Forderung umgehend zurück. Nicht 100.000, sondern maximal 1500 Juden sollten jährlich nach Palästina einreisen dürfen, nicht mehr.[3] Angesichts dieser schwerwiegenden Differenz, empfahl London im November 1945 die Etablierung eines Anglo-American Committee of Enquiry regarding the problem of European Jewry and Palestine. Die USA schlugen ein.

Britischer Anti-Zionismus

Kurz vor Beginn des Zweiten Weltkriegs hatte Großbritannien mit seinem Weißbuch von 1939 den Zugang für Juden in das Mandatsgebiet Palästina bis 1944 stark eingeschränkt und für die Zeit danach gesperrt. Der Landverkauf an Juden wurde unterbunden. Dies geschah, um die Araber in Erwartung des bevorstehenden Weltkriegs versöhnlich zu stimmen. Warum aber setzte Großbritannien die im Weißbuch festgeschriebene Politik nach dem Sieg über die Nazis fort?

Nach 1945 suchte London „ein globales antizionistisches Narrativ zu etablieren“, schreibt der amerikanische Historiker Norman J.W. Goda. „Obwohl niemand den Holocaust leugnete, behandelten ihn die Briten … eher als eine Flüchtlingsproblematik, denn als einen Massenmord und gaben zu verstehen, dass für viele der Probleme jüdischer Existenz die Juden selbst verantwortlich seien.“[4] Goda hat seine Einschätzung anhand der Protokolle von AAC-Vernehmungen belegt.

So verwickelten britische Komitee- Mitglieder die jüdischen Zeugen in aggressive Kreuzverhöre. Sie erklärten, es sei für Juden sinnlos, über die Shoah zu reden. Stattdessen sollten sie begründen, warum sie nicht nach Polen zurückkehrten und darlegen, wie man Juden nach Palästina bringen könne, ohne dort Unruhen zu erzeugen.[5]

Als beispielsweise ein jüdischer Zeuge mit Verweis auf die Nachkriegs-Pogrome in Krakau zu erklären suchte, dass die Zeit für Juden in Polen abgelaufen sei, hielt ihm Sir John Singleton, der britische Komitee-Vorsitzende entgegen: „Die Geschichte zeigt doch wohl, dass die Leute in jedem Land, in dem es Verfolgungen gab, zurückgekommen sind.“[6]

Als sich ein führender britischer Zionist, Sir Simon Marks, für mehr jüdische Einwanderung in Palästina aussprach, warnte ihn Singelton, dass dies zu einem neuen Krieg führen könne „und wenn es dann aufgrund einer von den Juden geforderten Politik zu Ärger kommt, glauben Sie, dass … dann das Los der Juden ein glücklicheres sein würde, als im letzten Krieg?“ Es könne nicht schlimmer werden, erwiderte Marks.[7]

Singelton legte mit diesen Auftritten ein erstaunliches Maß an Ignoranz hinsichtlich der Shoah an den Tag. Er tat, als habe es Auschwitz und Bergen-Belsen nie gegeben.

Massiv antizionistisch äußerten sich auch die britischen Zeugen, die das Komitee in London, Kairo und Jerusalem vernahm. Der frühere britische Gesandte in Syrien und Libanon, General Edward Spears, stellte den Zionismus mit dem Nationalsozialismus auf eine Stufe, während Generalmajor W.P. Oliver vom Nahost-Kommando der britischen Streitkräfte einen arabischen Genozid an den Juden prophezeite, sollte das Komitee die zionistische Politik begünstigen.[8]

Arabische Antisemitismus

Bevor die Mitglieder des Komitees nach Palästina reisten, besuchten sie die Hauptstädte der arabischen Welt. Zu ihren Stationen gehörte auch Riad. „Die Juden sind überall unsere Feinde“, erklärte ihnen hier König Ibn Saud. „Wo immer man sie findet, intrigieren sie und arbeiten gegen uns.“ Anschließend schenkte er jedem Komitee-Vertreter einen goldenen Dolch und ein arabisches Gewand einschließlich Kopfschmuck und versprach, für Sir John Singelton eine Frau zu finden.[9]

Im Februar 1946 erklärte der syrische Parlamentarier Faris al-Khoury den Mitgliedern des Komitees, dass dessen eigentliche Aufgabe darin bestehe, „den Grund herauszufinden, warum die Juden überall in der Welt auf Ablehnung stoßen.“ Seine private Antwort gab er ihnen mit auf den Weg: „Die sind unerwünscht, weil sie glauben, sie seien das von Gott auserwählte Volk und weil sie an diesem Rassismus festhalten.“[10]

Auch Habib Bourguiba, der tunesische Nationalist, sah die Schuld für das Schicksal der Juden bei ihnen selbst: „Die Juden müssen sich verändern und bestimmte Behauptungen, derentwegen sie sich da, wo sie leben, zuweilen unbeliebt machen, revidieren.“[11]

James McDonald, einer der US-amerikanischen Vertreter im Komitee, notierte nach einer Befragung des libanesischen Ministerrats unter Leitung von Premierminister Sami al-Sulh in seinem Tagebuch, dass die dargelegten Meinungen „stark antizionistisch oder sogar antijüdisch waren. Einer der Minister wiederholte einige der abstrusesten Hitler-Anschuldigungen gegen die Juden.“[12]

Diese Zitate und Berichte lassen darauf schließen, dass die jahrelange arabisch-sprachige Propaganda der Nazis nicht ohne Wirkung geblieben war. Sie belegen, dass der Juden- und Zionistenhass in der arabischen Welt nicht erst aufgrund der Auseinandersetzungen mit Israel entstand, sondern bereits existierte, bevor es Israel gab.

Nach seinen Aufenthalten in den arabischen Zentren reiste das Komitee nach Palästina, wo man führende Akteure wie David Ben-Gurion, Martin Buber und Jamal el-Husseini befragte. Den nachhaltigsten Eindruck hinterließen jedoch die Rundfahrten des Komitees durch das Heilige Land.

„Ich verließ Washington als ein starker Antizionist“, berichtete später Frank Aydelotte, einer der amerikanischen Vertreter im Komitee. „Wenn du aber aus erster Hand siehst, was diese Juden in Palästina getan haben …[Es ist] die größte schöpferische Leistung in der modernen Welt. Die Araber sind hier in keiner Weise ebenbürtig und würden all das zerstören, was die Juden getan haben. Das dürfen wir ihnen nicht erlauben.“[13]

100.000 Einreisezertifikate

Derartige Eindrücke schlugen sich in dem einstimmig verabschiedeten Bericht nieder, den das Komitee am 20. April 1946 nach mehrtägigen Beratungen in Lausanne veröffentlichte. Ein Teil des Berichts widmete sich der Lage in Palästina.

Die Heimstätte für die Juden, heißt es darin, sei vorhanden. „Sie hat im palästinensischen Boden tiefe Wurzeln geschlagen. Man kann weder ihre Existenz noch die Errungenschaften der jüdischen Pioniere bestreiten.“

Es gäbe jedoch kaum ein anderes Land in der Welt, „das in seinen wirtschaftlichen, sozialen und politischen Grundlagen derart einschneidend gespalten“ sei. „Der Araber befolgt einen strengen sozialen Code – weit entfernt von den Gebräuchen der modernen Welt. Er ist über Neuerungen in Kleidung und Betragen, die dem jüdischen Einwanderer ganz natürlich erscheinen, schockiert.“[14]

Ein zweiter Teil des Berichts galt der Lage der jüdischen displaced persons in Europa: Diese seien von der Wiederherstellung eines normalen Lebens weit entfernt. „Wir sind der Meinung“, heißt es in dem Bericht, „dass diese Männer, Frauen und Kinder einen moralischen Anspruch an die zivilisierte Welt haben. … Sie haben das Gefühl, dass die einzige reale Chance für den Wiederaufbau ihres zerstörten Lebens … diejenige ist, die ihnen von den Juden in Palästina angeboten wird. … Sie sind aufgebracht, weil sie daran gehindert werden, nach Palästina zu gehen.“[15]

Deshalb forderten die Empfehlungen des Berichts, dass erstens „unverzüglich 100.000 Zertifikate für die Einreise von Juden nach Palästina ausgestellt“ und Landverkäufe an Juden wieder ermöglicht werden.

Zweitens kritisierte der Bericht die Weigerung der westlichen Nationen, jüdischen DPs die Einreise zu gestatten. Palästina könne die jüdischen Überlebenden nicht alle aufnehmen: „Die ganze Welt ist für sie verantwortlich.“

Drittens betonte der Bericht, dass Palästina als das „heilige Land“ mit keinem anderen Land vergleichbar sei, weshalb seine Regierung, welche immer es auch sei, die Interessen aller drei Religionen gleichermaßen zu schützen habe.

Wie es den Amerikanern in Lausanne gelang, die britische Seite zur einstimmigen Annahme dieser Empfehlungen zu bewegen, liegt derzeit noch im Dunkeln. Nach Auffassung des amerikanischen Historikers Leonard Dinnerstein „wurde die britische Delegation von den Amerikanern praktisch gezwungen, sich deren Auffassung anzuschließen und die Aufnahme von 100.000 Juden in Palästina zu empfehlen.“[17]

Sicher ist, dass sich parallel zur amerikanischen Dominanz in der kleinen Runde von Lausanne auch global der Übergang von der britischen zur amerikanischen Vorherrschaft im Nahen Osten vollzog.

Schock für London

Während Harry Truman die Empfehlungen des Berichts unterstützte, war die britische Regierung über diesen Ausgang schockiert: sie hatte fest mit der Bestätigung ihrer Linie gerechnet. Premier Attlee machte nunmehr jedoch die Einwanderung von Juden nach Palästina von der Entwaffnung des Jischuw abhängig und schloss sie damit erneut für alle Zukunft aus.[18]

Die arabische Welt war noch mehr entsetzt. „70 Millionen Araber werden, von 400 Millionen Moslems unterstützt, die Umsetzung dieser Empfehlung verhindern. Das Blut wird wie Flusswasser in Palästina fließen,“ verkündete prompt die ägyptische Muslimbruderschaft.[19]

In Bagdad und Palästina provozierte der Bericht gewalttätige Demonstration, in Beirut wurde ein US Information Center in Brand gesteckt. Eine Zeitung in Bagdad rief den Djihad aus, während eine andere dazu aufrief, „alle europäischen Juden in Palästina zu vernichten.“ Eine Depesche des britischen Auswärtigen Amts äußerte in dieser Situation, dass der Hass der Araber auf die Juden den Hass der Nazis noch übertreffe.[20]

Resümee

Der AAC-Bericht zeitigte zwar keine unmittelbaren Folgen. Er markierte aber eine wesentliche Etappe auf dem Weg zum jüdischen Staat. 1946 suchten starke Akteure die jüdische Einwanderung nach Palästina koordiniert zu verhindern: Hier die Briten, die jedweden Zusammenhang zwischen Zionismus und Shoah dementierten, dort die Araber, die einen an die Nazis erinnernden Antisemitismus mobilisierten.

Mit dem AAC aber kamen erstmals die USA und mit ihnen fünf Millionen amerikanische Juden sowie die moralische Wucht der Shoah ins Spiel. Auch wenn der Sieg um die 100.000 Zertifikate zunächst nur ein symbolischer war, verklammerte er doch das Grauen des Holocaust mit der Notwendigkeit der Etablierung des jüdischen Staats.

Er trug dazu bei, dass am 29. November 1947, eineinhalb Jahre nach Veröffentlichung des AAC-Berichts, die Vollversammlung der Vereinten Nationen mit mehr als zwei Dritteln ihrer Mitglieder den Beschluss fasste, Palästina in einen jüdischen und einen arabischen Staat zu teilen und Jerusalem unter internationale Verwaltung zu stellen.

Enthusiastisch begrüßten die jüdischen DPs die Unabhängigkeitserklärung Israels, die David Ben-Gurion am 14. Mai in Tel Aviv verlas. In den Folgewochen ließen sich 70 Prozent der jüdischen DPs für Israel registrieren. Bis 1950 hatten mehr als 65.000 jüdische DPs die westdeutschen Lager in Richtung Israel verlassen.[21]

Heute aber ist es die Labour-Linke unter Jeremy Corbyn, die den politisch und moralisch diskreditierten Antizionismus des Labour-Premiers Clement Attlee neu zu beleben sucht: Von einer kritischen Auseinandersetzung mit dieser Phase ihrer Geschichte ist die britische Linke weit entfernt.

1 Report of the Anglo-American Committee of Enquiry regarding the problems of European Jewry and Palestine, Lausanne, 20th April, 1946, London 1946, S. 47-55.

2 Archiv der Gegenwart, 1945, S. 456.

3 Benny Morris; 1948. The First Arab-Israeli War, New Haven and London 2008, S. 32.

4 Norman J.W. Goda, Anti-Zionism and Antisemitism in the Wake of the Holocaust: The Anglo-American Committee of Inquiry, 1946; Vortrag anlässlich der Konferenz “Anti-Zionism, Antisemitism, and the Dynamic of Delegitimization” an der Indiana University in Bloomington, USA am 5. April 2016, Seite 3.

5 Goda, a.a.O., S. 4.

6 Ebenda. Goda hat die Tagebücher des amerikanischen Komitee-Mitglieds James G. McDonald von 1946 analysiert und zitiert hier aus seiner diesbezüglichen Veröffentlichung: Norman J.W Goda, Barbara McDonald Stewart, Severin Hochberg, and Richard Breitman, eds., To the Gates of Jerusalem: The Diaries and Papers of James G. McDonald, 1945-1947, Bloomington 2014.

7 Marks testimony of January 28, 1946, National Archives, College Part, RG 43, AAC, Box 10, zitiert nach Goda, a.a.O. .

8 Goda, a.a.O., S. 6.

9 Benny Morris, a.a.O., S. 33.

10 National Archives, College Park, RG 43, AAC, Box 10, zit. nach Goda, S. 7.

11 Ebd.

12 Goda, et al., To the Gates of Jerusalem, pp.168, 172, zit. nach Goda, a.a.O., S. 9.

13 Morris, a.a.O., S. 33f.

14 Report, a.a.O., S. 6, 21 und 31.

15 Report, a.a.O., S. 14.

16 Report, a.a.O., S. 1-3.

17 Leonard Dinnerstein, Britische und amerikanische DP-Politik, in: Fritz Bauer Institut (Hg.), Überlebt und unterwegs. Jüdische Displaced Persons im Nachkriegsdeutschland, Frankfurt/M. 1997, S. 113.

18 Goda, a.a.O., S. 12 und Morris, a.a.O., S. 34.

19 Abd Al-Fattah Muhammad El-Awaisi, The Muslim Brothers and the Palestine Question 1928-1947, London 1998, S. 184.

20 Morris, a.a.O., S. 34f.

21 Angelika Königseder/Juliane Wetzel, Lebensmut im Wartesaal. Die jüdischen DPs im Nachkriegsdeutschland, Frankfurt/M. 1995, S. 152ff.