Neuestes Buch:
Nazis und der Nahe Osten
Wie der islamische Antisemitismus entstand
Bastille République Nation, September 2001
Zufällig war mein Radio eingeschaltet, als kürzlich einer der führende SPD-Politiker, Gernot Erler, in einem Interview zur Perspektive Mazedoniens und des Kosovo Stellung nahm. Seine Antwort auf die Frage nach dem strategischen Ziel der deutschen Politik war bemerkenswert. In Anbetracht des ,,albanischen Strebens nach Separation in Mazedonien und im Kosovo“ müsse man ,,nach der Zukunft der Grenzen in dieser Region (fragen), ob sie eigentlich für uns unantastbar sind, oder ob man bereit wäre, diese zum großen Teil ja willkürlich gezogenen Grenzen in irgendeiner Weise, natürlich nach einem entsprechenden politischen Prozess, zu verändern.“ [1]
Ein erstaunliches Wort! Man stelle sich vor, Erler hätte so über die Revision der „willkürlich gezogenen“ deutsch-polnischen Grenze oder über „das Streben nach Separation“ der in der Türkei lebenden Kurden parliert. Und dennoch stieß Erlers Aussage auf keinen Protest. Wer in Deutschland das territoriale Programm der UCK in die Sprache des durchschnittlichen Radio-Hörers überträgt, kann sich des Einverständnisses der Öffentlichkeit ziemlich sicher sein.
Schon am Anfang der Mazedonien-Krise hatte der deutsche Außenminister Joschka Fischer demonstrativ „die albanische Frage“ für „offen“ erklärt und damit das territoriale Programm der UCK unterstützt. Kurz darauf besuchte er im Kosovo deren Anführer, um sie, wie ein Reisebegleiter der Grünen im Internet protokollierte, „zu mehr Geduld und Vernunft in ihrem Unabhängigkeitsstreben“ anzuhalten. Denn die „gewaltsame“ Veränderung von Grenzen lehne man ab. Doch wurde nicht auch 1938 mit München und der deutschen Annektion der westlichen Tschechoslowakei eine Grenze „gewaltfrei“ revidiert?
Die rot-grüne Tendenz, staatliche Grenzen zugunsten einer ethnisch, d.h. rassistisch definierten Neuordnung in Frage zu stellen, wird von der oppositionellen CDU bestärkt. So kritisierte ihr außenpolitischer Sprecher Karl Lamers in einem 12-seitigen Positionspapier mit Blick auf Paris die „Angst des Status-Quo-fixierten Westens vor Veränderung“ und erklärte, „dass auf die Dauer eine Verschiebung der Grenzen nicht vermeidbar sei.“
Dieser parteienübergreifende Konsens, der die Stoßrichtung der deutschen Mazedonien-Politik bestimmt, wird relativ offen diskutiert. Für andere Themen gilt dies nicht unbedingt.
Zuweilen heißt es sogar: Vorsicht Leute, Frankreich hört mit!
Neulich geschah eben dies in aller Öffentlichkeit. Der Anlaß? In einem vom Spiegel dokumentierten Gespräch zwischen Joschka Fischer und dem wichtigsten Europa-Politiker der CDU, Wolfgang Schäuble, begann der letztgenannte ebenso unerwartet wie unverblümt vom Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation zu schwärmen. Schäuble: „Das Modell des Reiches aus dem Mittelalter ist womöglich ein interessanteres Modell für die Organisation Europas im 21. Jahrhundert.“ Sofort legte der deutsche Außenminister seinen Finger auf den Mund und warnte: „Wer das jenseits des Rheins hört, zuckt zusammen.“ Diesseits des Rheins zuckt niemand zusammen; besonders nicht Joschka Fischer, dessen Vision von einer deutschen „sanfte Hegemonie“ über Europa in Schäubles Richtung weist. Fischer weiter: „Ich kann Wolfgang Schäubles Argumentation verstehen, aber im europäischen Diskurs bekommt die Reichsidee einen falschen Zusammenhang.“ Spiegel: „Weil das Wort ,Reich‘ einen bestimmten Klang hat, der nicht dem entspricht, was Sie eigentlich damit meinen.“ Fischer: „So ist es.“
Was aber ist bei Fischer mit der Reichsidee „eigentlich“ gemeint? Die Überwindung der von Gernot Erler kritisierten „willkürlich gezogenen Grenzen“? Die „Beantwortung“ der „noch offenen“ korsischen, flamischen oder vielleicht gar deutschen Frage?
Bitte weghören, kann ich den Verantwortlichen am Quai d´ Orsay nur empfehlen. Dann läßt es sich mit Berlin gewiß leichter klarkommen. Und niemand zuckt zusammen!
Quelle: Bastille République Nation, 10. September 2001, S. 11.