Neuestes Buch:
Nazis und der Nahe Osten
Wie der islamische Antisemitismus entstand
Ein neues Standardwerk über die Kollaboration von Nazis und Muslimen
iz3w, Ausgabe 353, März/April 2016
Die wissenschaftliche Debatte über die historische Zusammenarbeit der Nazis mit der islamischen Welt ist eine angelsächsische Domäne, für die sich ausgerechnet in Deutschland nur wenige interessieren.
So wurde das 2009 erschienene Buch des Historikers Jeffrey Herf über die „Nazi Propaganda For The Arab World“ ins Französische, Italienische und Japanische übersetzt, nicht aber ins Deutsche. Das preisgekrönte Buch von Meir Litvak und Esther Webman „From Empathy to Denial. Arab Responses to the Holocaust“ (2009) liegt nur auf Englisch vor. Gleiches gilt für die Studie „Nazis, Islamists, and the Making of the Modern Middle East“ (2014) von Barry Rubin und Wolfgang G. Schwanitz. 2011 veröffentlichte die Zeitschrift „Geschichte und Gesellschaft“ ein 140-seitiges Sonderheft zum Thema „Arab Responses to Fascism and Nazism“ und 2012 publizierte die Zeitschrift „Die Welt des Islam“ ein 300-seitiges Sonderheft zum Thema „Islamofascism“ – jeweils auf Englisch.
Da kann es wenig wundern, dass der in Detmold aufgewachsene Historiker David Motadel, der an der Universität in Cambridge lehrt, seine 500-seitige Studie über Islam und Nazi Germany’s War ebenfalls auf Englisch schrieb.
Der Autor verwandte für seine Darstellung nicht nur europäische, sondern auch arabische und persischsprachige Quellen. Er hat nicht nur in deutschen, britischen und amerikanischen Archiven, sondern auch in tschechischen, russischen, lettischen und albanischen recherchiert.
Sein Thema ist keineswegs randständig, sondern für die Geschichtsschreibung des Nationalsozialismus und des Zweiten Weltkriegs hoch relevant: Schon Ende 1941 erkannten die Nazis, dass der Krieg gegen die Sowjetunion ohne die Rekrutierung „fremdvölkischer“ Legionen nicht zu gewinnen war.
Bei der Auswahl der in Frage kommenden „Völker“ zeigte Hitler eine überraschende Präferenz: Es sah nur in den Muslimen wirklich zuverlässige Soldaten und unterstützte deren Rekrutierung bedingungslos. Auch das Oberkommando der Wehrmacht rechtfertigte die Rekrutierung der Muslime nicht allein mit dem Männermangel in der Armee, sondern auch mit der Religion – ausgehend von der Annahme, dass der Islam die soldatischen Qualitäten erhöhe.
Diese Präferenz trug dazu bei, dass vier der sechs Freiwilligen-Legionen, die die Wehrmacht im Osten in Stellung brachte, muslimisch waren: eine Turkestanische Legion mit 110.000 bis 180.000 Soldaten, eine Kaukasisch-Mohammedanische Legion mit 25.000 bis 38.000 Soldaten, eine Nordkaukasische Legion mit 28.000 sowie eine Wolgatatarische Legion mit 35. 000 bis 40.000 Soldaten.
Drei muslimische Bataillone nahmen an der Schlacht um Stalingrad und sechs muslimische Bataillone an der Verteidigung Berlins teil. Am Ende des Krieges waren allein an der Ostfront mehrere zehntausend muslimische Soldaten für die Nazis gefallen.
Hitler zeigte große Sympathien
Im ersten Teil seines Buches zeichnet Motadel die Islampolitik im Kaiserreich und das ab Sommer 1941 steigende Interesse der Nazi-Führung am Islam nach.
Interessant sind seine Belege für die Islamverehrung führender Nazigrößen. „Hitler zeigte große Sympathien für den Islam“, berichtete zum Bespiel Hermann Neubacher, ein Mitarbeiter des Auswärtigen Amts. Er sei überzeugt gewesen, dass, „die Deutschen, wären sie Muslime gewesen, in ihrer Geschichte mehr erreicht hätten.“
Der zweite Teil der Studie („Muslims in the War Zones“) geht auf die Islampolitik der Nazis im Nahen Osten, an der Ostfront und auf dem Balkan ein.
Sein Nahost-Kapitel konzentriert sich auf die Propaganda, mit der die Nazis die Araber auf ihre Seite zu ziehen suchten. Er betont „die Zentralität der Verweise auf den Islam“ in dieser Propaganda und deren antisemitischen Kern: “Die deutsche Propaganda kombinierte den Islam mit antijüdischer Agitation, und dies in einem Ausmaß, das die moderne islamische Welt bisher nicht kannte.“
Motadel befasst sich erstmals auch mit der Frage, wie Muslime und die Alliierten auf diese deutsche Islam-Propaganda reagierten. Die ägyptischen Muslimbrüder, so seine Bilanz, hätten diese Propaganda zwar geschätzt. Gleichwohl sei deren Erfolg hinter den Erwartungen der Nazis weit zurückgeblieben.
An der Ostfront sah die Lage anders aus. Hier wurde die vorrückende Wehrmacht als Befreier der Muslime von sowjetischer Herrschaft gefeiert. Also nutzten die Deutschen „die Religion als eines ihrer wichtigsten Instrumente der Kriegsführung.“ Sie restaurierten und politisierten die Moscheen und etablierten „Mohammedanische Komitees“, die sie als „zentrale Säule der deutschen Herrschaft“ nutzten.
„Es ist interessant“, notierte Joseph Goebbels im Januar 1942 über den Nazi-Aktivismus auf der Krim, „als wie bedeutsam sich die clevere Ausnutzung der religiösen Frage hier erwies.“
Auf dem Balkan fanden die deutschen Stellen – anders als im Kaukasus und auf der Krim – intakte islamische Institutionen und Netzwerke vor. Hier ging die Initiative von Muslimen aus: „Die deutschen Truppen waren über die enthusiastische Begrüßung, mit der sie große Teile der muslimischen Bevölkerung empfingen, überrascht.“
Im April 1941 „organisierten muslimische Führer aus Anlass von Hitlers Geburtstag Massenkundgebungen und feierliche Gebete in den Moscheen, zu denen die deutschen Militärbehörden eingeladen wurden.” Ab 1943 nutzen die Nazis auch hier den Islam als politisches Instrument. Motadel hat die hierfür verwendeten Propagandamaterialien im Freiburger Militärarchiv neu entdeckt.
Im dritten Teil seiner Studie („Muslims in the Army“) behandelt Motadel die religiös begründeten Sondermaßnahmen für Muslime in deutschen Kampfeinheiten sowie die weltanschauliche Schulung, die diese Muslime durchliefen.
Auch hier fördert der Autor neue Quellen zutage: So präsentiert er Propagandazeitungen, die die Nazis zum Beispiel unter dem Titel „Ghazavat“ (Heiliger Krieg) zwischen 1942 und 1945 für muslimische Soldaten erstellten – Zeitungen, die mit Texten, aber auch mit Fotos, Versen und Liedern die muslimischen Soldaten aufzustacheln suchten.
Man agitierte gegen die Sowjetunion, gegen Großbritannien und gegen die Juden. Der Palästina-Konflikt erhielt – selbst an der Ostfront! – enormen Raum: „Bilder von Juden als Feinde des Islam wurden oft mit Aufforderungen zur islamischen Solidarität mit den Palästinensern … in Verbindung gebracht… Es wurde oft und in einer übertriebenen Weise über Unruhen in Palästina berichtet. Man stellte diese als Teil eines Globalkonflikts dar, mit dem die Gesamtheit der muslimischen Welt verbunden sei“, schreibt Motadel.
Auffällig war darüber hinaus das Bemühen der Propagandaorgane, “die Soldaten über den Islam aufzuklären und die Entwicklung einer islamischen Identität unter ihnen zu befördern.“
Dies schien notwendig gewesen zu sein. Motadel zitiert Nazi-Größen, die sich darüber beklagen, dass kaum ein muslimischer Soldat zum Gebet käme, wenn es nicht die Verpflichtung hierzu gäbe. Er zeigt, dass das Alkoholverbot, das die Nazis als vermeintliche Islam-Vorgabe zu garantieren suchten, besonders bei Muslimen aus dem Osten auf Unverständnis stieß.
Die „islamische Identität“ war also oftmals nicht vorhanden, sondern musste von den Nazis erst geschaffen werden. Und es war auch nicht irgendeine „islamische Identität“, die die Deutschen ihren muslimischen Vollstreckern aufzudrängen suchten, sondern man war davon überzeugt, „dass für die militärischen Imame nur eine enge Auslegung des Islam geeignet sei”, eine Auslegung, die zugleich den Hass auf Juden zum Kernbestand islamischer Identität erklärt.
An erster Stelle Antisemitismus
Hinterließ diese Indoktrination Spuren in der islamischen Welt? Motadel lässt uns in dieser Hinsicht allein. Die Frage, ob die Ergebnisse seiner Recherchen dazu beitragen können, den Antisemitismus und die Krise des gegenwärtigen Islam besser zu deuten, wird von ihm nicht gestellt.
Stattdessen wählt Motadel einen anderen interpretativen Rahmen und einen anderen Gegenwartsbezug: Er betrachtet die Islampolitik der Nazis als eine „Episode“ in einer langen Geschichte der Versuche nicht-muslimischer Großmächte, den Islam für die eigenen strategischen Interessen zu instrumentalisieren, und führt als jüngeres Beispiel den in den 1980er Jahren von den USA geförderten Dschihad gegen die Sowjets in Afghanistan an.
Vielleicht liegt es an dieser Einordnung, dass Motadel den ideologischen Faktor herunterspielt: „Es war die militärische Situation, die zu Deutschlands Kampagne für eine islamische Mobilisierung geführt hat“, behauptet er. „Ideologische Erwägungen spielten nur eine marginale Rolle.”
Dies ist wenig überzeugend. So setzte die pro-islamische Wende der deutschen Nahostpolitik im Sommer 1937 anlässlich des britischen „Peel-Plans“ ein. Bereits im Mai 1938 schwor Goebbels die deutschen Medien auf eine islamfreundliche Einstellung ein. Zur selben Zeit veröffentlichte ein Nazi-Verlag den Aufruf „Islam-Judentum“ des Muftis von Jerusalem. Im April 1939 begann Radio Zeesen sein islamfreundliches, arabischsprachiges Programm. Dies zeigt, dass die islamfreundliche Politik der Nazis schon vor Beginn des Krieges begann, also unabhängig von militärischen Erwägungen.
Es ist zwar richtig, dass Hitler seine rassistische Ideologie hintan stellen musste, um die Kooperation mit Muslimen zu ermöglichen. Doch war auch diese Prioritätensetzung ideologisch motiviert: Der antiarabische Rassismus hatte sich dem antisemitischen Gesamtkonzept der Nazis unterzuordnen.
Dessen ungeachtet hat Motadel eine wichtige Studie geschrieben, die das Wissen über die Geschichte des Zweiten Weltkriegs erheblich erweitert. Er hat eine beispiellose Menge an Material zu einem gut lesbaren Buch verarbeitet. Es ist ein Standardwerk, an dem sich künftige ForscherInnen werden abarbeiten müssen.
Ob es eine Übersetzung ins Deutsche geben wird? Die Chancen stehen schlecht.
David Motadel: Islam and Nazi Germany’s War, The Belkap Press of Harvard University Press 2014. 512 Seiten, 30,00 Euro.