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Wie der islamische Antisemitismus entstand
Mit dem schrittweisen Ausstieg Teherans aus dem Atomabkommen ist die europäisch-deutsche Iranpolitik endgültig gescheitert. Noch aber will man in Berlin nichts davon wissen.
mena-watch.com, 9. März 2019
Noch am 7. Mai 2019 sandte Frankreich eine Botschaft an die Machthaber Irans: „Wir wollen nicht, dass Teheran morgen Aktionen ankündigt, die das Atomabkommen verletzen würden. Denn dann wären wir nach den Vorgaben des Abkommens verpflichtet, erneut Sanktionen zu verhängen.“
Der Warnruf war vergeblich. Am Folgetag, genau ein Jahr nach dem Rückzug der USA aus diesem Abkommen, gab Irans Präsident Rohani zweierlei bekannt: Er erklärte, dass sich das Regime ab sofort an zentrale Bestimmungen des Abkommens nicht länger gebunden fühlt. Zum Beispiel an dessen § 7, der besagt, dass das Regime seine Vorräte an niedrig angereichertem Uran auf 300 kg zu begrenzen hat. Dessen Aufhebung hat zur Folge, dass sich das Regime das hochangereichertes Uran bei Bedarf in einem kürzeren Zeitraum beschaffen kann.
Betroffen ist auch § 10, demzufolge Iran 15 Jahre lang nicht mehr als 130 Tonnen Schwerwasser herstellen oder lagern darf. Auch daran werde sich der Iran künftig nicht halten, so Rohani. Schweres Wasser wird für Reaktoren gebraucht, die für die Produktion von waffenfähigem Plutonium besonders geeignet sind. Diese Mengenbegrenzungen von Stoffen, die für Atomwaffen gebraucht werden, gehören zum Kern der Vereinbarung, die Teheran nun erklärtermaßen verletzt.
Dennoch versucht das Regime einen anderen Eindruck zu erwecken. „Wir wollen das Abkommen nicht verlassen“, erklärt Rohani. „Alle Welt soll wissen, dass der Atomdeal heute nicht beendet wird, es handelt sich um einen neuen Schritt im Rahmen des JCPoA (Joint Comprehensive Plan of Action).“ Auch Außenminister Zarif beteuert: „Iran wird einige freiwillig eingegangene Verpflichtungen nicht ausführen (und) den Atomdeal nicht verlassen.“ Sie berufen sich auf Artikel 26 des JCPoA. Darin heißt es, dass sich das Regime bei Wiedereinführung amerikanischer Sanktionen „gänzlich oder teilweise von den Verpflichtungen des JCPoA entbunden sieht.“
Man kann aber nicht gleichzeitig ein Abkommen brechen und in ihm bleiben wollen. Die täuschende Sprachregelung hat einen einfachen Grund: Teheran hat Angst, dass sich die übrigen Staaten des JCPoA an dessen Vorgaben halten.
Diese sehen vor, dass bei einer offenkundigen Vertragsverletzung eine „Gemeinsame Kommission“ zusammenkommt, die aus acht Mitgliedern besteht: den fünf ständigen UN-Sicherheitsratsmitgliedern, der EU, Deutschland und dem Iran. Sollte hier die Mehrheit zu dem Schluss kommen, der Iran habe das Abkommen verletzt, müsste der Vorfall an den UN-Sicherheitsrat überwiesen werden. Dieser aber könnte „im Falle einer bedeutsamen Nichterfüllung von JCPoA-Bestimmungen durch den Iran“, wie es in Anhang IV, Punkt 18 des Abkommens heißt, mittels einer „snap back“-Verfahrens all die Sanktionen wieder in Kraft setzen, die es vor dem Atomdeal gab.
Es handelt sich hier um eine allein den Iran betreffende Regelung, die daran erinnert, dass es iranische Verstöße gegen den Atomwaffensperrvertrag waren, die den Atomdeal nötig gemacht hatten. Sie ist der Grund für die Warnung Präsident Rohanis, dass die fünf ständigen Mitglieder des Sicherheitsrats mit einer „sehr entscheidenden Reaktion“ seitens des Regimes zu rechnen hätten, sollten sie es tatsächlich wagen, den Fall vor den Sicherheitsrat zu bringen. Der iranische Staatssender „Press TV“ deutete an, dass es bei dieser Warnung um die Androhung eines Austritts aus dem Atomwaffensperrvertrag geht.
Teheran droht mit der Bombe
Kommen wir zu Rohanis zweiter Mitteilung, die in die Zukunft weist: Er kündigte an, dass das Regime auch die Arbeiten am Plutoniumreaktor Arak und an der Hochanreicherung von Uran wieder aufnehmen werde, sollten sich die Europäer außerstande zeigten, die Folgen der U.S.-Sanktionen im Banken- und Rohstoffsektor innerhalb von 60 Tagen zu kompensieren. Rohani machte deutlich, wohin die Reise geht: Würde ein Land, das auf Atomwaffen verzichtet, mit Bombenrohstoffen und dem Austritt aus dem Atomwaffensperrvertrag drohen?
Diese Taktik der nuklearen Erpressung zielt nicht auf Russland oder die VR China, sondern explizit auf die Europäische Union. „Wir Europäer haben unseren iranischen Partnern immer geraten, uns als Schutzschild im wohlverstandenen eigenen Interesse zu begreifen“, hatte Außenminister Joschka Fischer 2004 erklärt.
Eben das klagt Rohani jetzt ein und stellt die E 3 – Großbritannien, Frankreich, Deutschland – vor die Wahl: Entweder ihr schützt uns vor den verschärften Sanktionen der USA oder der Atomdeal platzt und wir greifen erneut zur Bombe, was immer das für Folgen nach sich ziehen mag.U.S.-Außenminister Mike Pompeo tat Rohanis Ultimatum als Kraftprotzerei ab: „Sie haben schon oft mit Aktionen gedroht, um die Welt in Trab zu halten.“ Handelt es sich also um einen Bluff? Sicher ist, dass die Europäer nicht erbringen können, was das Regime von ihnen verlangt.
Die E 3 setzten seit dem Ausstieg der USA aus dem JCPoA alle Hebel in Bewegung, um die amerikanischen Sanktionen zu unterlaufen und das Abkommen irgendwie zu retten. Man riskierte auch den offenen Affront. So hatten im Februar 2019 die deutschen und französischen Außenminister sowie die EU-Außenbeauftragte eine Warschauer Irankonferenz, an der der amerikanische Außenminister und über 60 Nationen teilnahmen, demonstrativ boykottiert.
Doch all dies war vergeblich: Die europäischen Banken und die Rohstoffkonzerne zogen sich aus dem Iran zurück, um ihre Geschäftsbeziehungen mit den USA nicht gefährden. Anfang dieser Woche – eine Petitesse am Rande – hatte sich Mike Pompeo auch für den Warschau-Boykott seiner Kollegen revanchiert: Er sagte einen lang geplanten Berlin-Besuch kurzfristig und aus Zeitgründen ab, fand dann aber Gelegenheit, den britischen Außenminister, der in Warschau immerhin anwesend war, in London zu besuchen. Ein klares Signal.
Schon früher hatte Teheran das Atomabkommen wiederholt verletzt. Einige Beispiele: Das feierliche Versprechen des JCPoA „dass der Iran unter keinen Umständen jemals nach Atomwaffen streben, diese entwickeln oder erwerben wird“ geriet zum schlechten Witz, als man Anfang dieses Jahres an einem geheimen Ort in Teheran die gesammelten und sorgfältig aufbewahrten Studien für den Bau und Test von Atomwaffen fand. Während der Atomdeal regelt, dass Inspektoren der IAEA im Zweifelsfall auch militärisch genutzte Anlagen betreten dürfen, erklärte Ali Akbar Verlayati, der Chefberater des Revolutionsführers, diese Forderung sei “nur ein Traum … Dies wird niemals geschehen.“ Und obwohl schließlich das Abkommen hinsichtlich des Arak-Plutoniumreaktors verlangt, dass „der Reaktorkern funktionsunfähig gemacht wird indem man alle seine Öffnungen mit Beton füllt so dass … er für eine künftige nukleare Anwendung unbrauchbar wird“, bekannte sich im August 2017 der Chef der iranischen Atomenergieorganisation, Ali Akbar Salehi, dazu, dass der Beton „nicht in den Reaktor selbst, sondern [nur] in die äußeren Rohre gegossen wurde“, um die Atomanlage binnen kurzer Frist wiederherstellen zu können.
Es ist diesem JCPoA-Verstoß geschuldet, dass das Regime heute, also vier Jahre nach der Einigung auf den Atomdeal, mit der erneuten Inbetriebnahme dieses Reaktors drohen kann.
Warum gerade Deutschland den Atomdeal liebt
Die deutsche Außenpolitik wollte davon aber nichts wissen. Man feierte mit dem Atomdeal – „eine Sternstunde der Diplomatie“, wie Heiko Maas auch noch am 8. Mai 2019 verkündete – vor allem sich selbst: Dieser Deal war eine Premiere, da hier erstmals Deutschland im Rahmen der „5 +1“-Gespräche Weltpolitik zusammen mit den Vetomächten des Sicherheitsrats gestalten durfte. Man verfügte hier über erhebliches Gewicht, da Deutschland bei den Atomgesprächen gleich doppelt vertreten war: Durch den politischen Direktor des Auswärtigen Amts, sowie durch Helga Schmid, der ehemaligen Büroleiterin von Joschka Fischer, die als stellvertretende Generalsekretärin des Europäischen Auswärtigen Dienstes und Repräsentantin der EU eine führende Rolle bei den Atomgesprächen übernahm. Und da soll etwas schiefgelaufen sein?
Ein ideologisches Moment kommt hinzu: Deutschland ist ökonomisch zwar eine Supermacht, militärisch aber ein Zwerg. Sobald es um die Androhung von Militärgewalt geht, ist Deutschland raus aus dem Spiel. Man präsentiert dieses Manko jedoch als moralischen Triumph: Nur über den Dialog seien Veränderungen zu erreichen. Für Berlin galten die Atomgespräche somit als Modell – als ein Beispiel, dass mit geduldiger Diplomatie mehr zu erreichen ist, als durch Militäreinsätze; als der Prototyp eines sich von den USA absetzenden europäischen Wegs.
Sich von dieser Illusion zu verabschieden, fällt dem Auswärtigen Amt offenkundig schwer. Stattdessen tut man weiter, als sei eigentlich nichts geschehen.
Weiter, wie bisher?
Wer zum Beispiel am heutigen 9. Mai die Homepage der deutschen Botschaft im Iran aufruft, wird vom deutschen Botschafter Michael Klor-Berchtold freudig begrüßt: „Die deutsch-iranischen Beziehungen haben eine lange Tradition und großes Potential. Lassen Sie uns gemeinsam daran arbeiten, die guten Beziehungen weiter zu vertiefen.“ Die Greuel des Syrienkriegs, die Folter in iranischen Gefängnissen, die vertragswidrigen Raketentests, die Betrügereien am Atomdeal – all dies schiebt man beiseite, um das angeblich „große Potential“ der Beziehungen zu diesem Regime nicht zu gefährden.
Entsprechend ritualisiert fiel auch die deutsche Reaktion auf den iranischen Teilausstieg aus dem Atomabkommen aus: Man sehe die „Ankündigung“ Teherans „mit großer Sorge“ teilte die Bundesregierung mit, ohne sich zu einer klaren Verurteilung durchringen zu können, und werde sich weiterhin dafür einsetzen, das Abkommen zu erhalten. „Dazu gehört auch, dass sich Iran vollumfänglich an die im JCPoA enthaltenen Verpflichtungen hält.“
Man klammert sich also auch jetzt noch an das Alte und schiebt die Tatsache, dass der Kurs der deutschen Iranpolitik gescheitert ist und dass sich mit dem beginnenden Ausstieg des Iran aus dem Atomdeal etwas grundlegend verändert, von sich weg.
Anders als Heiko Maas reagierte der außenpolitischer Sprecher der FDP im Bundestag. Der Bundestagsabgeordnete Bijan Djir-Sarai, ein gebürtiger Iraner, bezeichnete die Erklärung Rohanis als „eine klare Provokation“. Das werde man „als EU nicht hinnehmen können.“ Jetzt bleibe auch der Bundesregierung, so sein Tweed, „nichts anderes übrig, als das Abkommen zu verlassen.“
Bijan Djir-Sarai hat recht. Wer auf eine neue, umfassendere Verhandlungslösung setzen will, wird den Druck auf das Regime verstärken und die Absicht Rohanis, die USA von Europa abzuspalten, durchkreuzen müssen. Frankreich hatte am Vorabend der Rohani-Entscheidung ganz richtig gewarnt: Die EU ist „nach den Vorgaben des Abkommens verpflichtet, erneut Sanktionen zu verhängen.“
Die Erstveröffentlichung dieses Beitrags auf mena-watch findet sich hier.
Bild: Iranian Emad Missile · Source: Tasnim News · License: Creative Commons Attribution 4.0 International · Author: Mohammad Agah