Neuestes Buch:
Nazis und der Nahe Osten
Wie der islamische Antisemitismus entstand
Heribert Schiedel, Mitarbeiter des Dokumentationsarchivs des Österreichischen Widerstandes und Vorstandsmitglied von SPME Austria im Gespräch mit Matthias Küntzel
SPME Faculty Forum German Edition, 23. Dezember 2008
Heribert Schiedel: Herr Dr. Küntzel: Ende November attestierten sie dem bis dato anerkannten Berliner Zentrum für Antisemitismusforschung, es befände sich auf “Abwegen”, weil es eine “Islamophobie” behauptet und diese mit dem Antisemitismus gleichsetzt. Bei aller Ablehnung des ersteren Begriffes, mit dem Islamisten jede Kritik an ihren Positionen abzuschmettern versuchen:
Weist der Hass nicht tatsächlich Ähnlichkeiten auf? Ich selbst habe diese etwa im Zusammenhang mit der Forderung nach einem Schächtverbot herauszuarbeiten versucht.
Matthias Küntzel: Sicherlich müssen wir einem Rassismus, der sich kulturalistisch artikuliert, entgegentreten. Aber warum immer dieser Judenvergleich? An der Oberfläche mag es Textbausteine geben, die sich ähneln. Wer tiefer schürft, merkt sofort, wie stark dieser Vergleich hinkt. Ein Beispiel:
Die jüdische Religion verbietet die Missionierung, die muslimische Religion verlangt sie. Deshalb betrachtet der Islamismus jeden Muslim, der sich in die westliche Gesellschaft integriert, als Abweichler oder gar Verräter. Ein „echter“ Muslim müsse auch in Europa für eine fundamentalistische Interpretation des Koran werben, heißt es in den unzähligen Botschaften, die inzwischen das Satellitenfernsehen und das Internet aus Saudi-Arabien oder dem Libanon transportieren. Von Israel ist eine vergleichbare Beeinflussung der hier lebenden Juden nicht bekannt.
Außerdem ist unklar, wie ein Engagement gegen den muslimbezogenen Rassismus aussehen soll. Wer sich gegen Rassismus engagiert wird in meinen Augen unglaubwürdig, wenn er nicht gleichermaßen gegen das repressive und antisemitische Programm des Islamismus Partei ergreift und die säkularisierten Muslimen unterstützt.
Davon abgesehen habe ich am Berliner Zentrum nicht den Vergleich, sondern die Gleichsetzung kritisiert. Prof. Benz, der Leiter des Zentrums, spricht im Vorwort des neuen „Jahrbuchs für Antisemitismusforschung“ nicht von „ähneln“, sondern von „gleichen“: „Die Wut der neuen Muslimfeinde gleicht dem alten Zorn der Antisemiten“, der Hass gegen die Muslime bediene sich „der gleichen Methoden…, die vom christlichen Antijudaismus wie vom rassistischen Antisemitismus entwickelt wurden.“ Diese Position wurde auf der Institutskonferenz am 8. Dezember 2008 ohne Abstriche wiederholt.
HS: Aber, was im Falle nicht des modernen Antisemitismus, sondern des sich religiös artikulierenden Antijudaismus, bei welchem sich meiner Meinung nach die Vergleiche – nicht Gleichsetzungen! – fast schon aufdrängen? Ich denke da an Texte, in welchen der Islam zur „Rachereligion“ und von Ritualmorden geraunt wird, in welchem Muslime für ihre enge Bindung an das religiöse Gesetz denunziert werden. Zumindest ich kann mich bei den vielen vermeintlich kritischen Koranexegesen nicht des Eindruckes erwehren, dass nach dem „Talmud-Juden“ der „Koran-Moslem“ konstruiert wird. Viele Linke und kritische Säkulare werden gerade in der „Islamkritik“ zu Idealisten, glauben, dass sie die Realität aus der Ideologie (Religion) ableiten können.
MK: Das Konstrukt des „Koran-Moslems“ lehne ich ab. Die gesellschaftliche Realität ist allemal wichtiger als die religiöse Doktrin – zum Beispiel bei den Türkendeutschen. Der Begriff des „Islamophobie“ ist auch deshalb so verkehrt, weil er unzählige Türkendeutsche, die säkular denken, in ein religiöses Korsett zu zwängen sucht.
Auf der anderen Seite können Koran und Sunna nun einmal in dem Sinn interpretiert werden, in dem die Islamisten dies tun. Islamisten missbrauchen nicht den Islam, sondern entwickeln ihre Anschauungen und Strategien aus dem Koran. Diese religiöse und gleichzeitig gesellschaftliche Realität des Islamismus klammert das neue „Jahrbuch“ aus.
HS: Würde Ihr Urteil denn weniger streng ausfallen, wenn das Berliner Zentrum sich in seinen Analogiebildungen auf die religiöse Judenfeindschaft beschränkt hätte?
MK: Nein. Die religiöse Judenfeindschaft der Christen basiert auf der Behauptung, Juden hätten Gottes Sohn getötet. Es gibt keine vergleichbare religiös bedingte Muslimfeindschaft. Wenn wir von religiöser Judenfeindschaft reden, denken wir zuerst an die Kreuzzüge. Damals wurden allein in Worms an zwei Tage 800 Juden getötet. In den nachfolgenden Massakern des 14. Jahrhunderts wurden mehrer hundert jüdische Gemeinden ausgelöscht. Von einer dementsprechenden Islamfeindlichkeit kann wohl kaum die Rede sein.
Im Übrigen hatte sich die rassistische Debatte in Deutschland vor dem Herbst 2004 (dem Zeitpunkt der Ermordung Theo van Goghs) auf ethnische und völkisch Parameter bezogen und nur in Ausnahmefällen auf den Islam. Warum sollten wir eine zweitausend Jahre alte religiöse Judenfeindschaft mit einer vier Jahre alten Muslimfeindschaft analogisieren? Natürlich kann, wer Diskurstheorien schätzt, den Synagogendiskurs des 19. Jahrhunderts mit dem Moscheediskurs von 2008 vergleichen. Darauf angewiesen sind wir bei der Analyse des neuen Phänomens allerdings nicht.
HS: Unter den Gründen, warum antimuslimischer Rassismus und Antisemitismus nicht „auf eine Stufe zu stellen“ ist, führen Sie das Fehlen einer Verschwörungstheorie an. Aber zumindest in Österreich klingen manche Medienberichte über eine drohende und gleichzeitig stille/heimliche „Islamisierung“ sehr wohl verschwörungstheoretisch. Auch die FPÖ behauptet ja nicht nur implizit einen Masterplan hinter der drohenden „Überfremdung“ oder einer neuen „Türkenbelagerung“. Antisemitismus und Rassismus weisen eine paranoide Grundstruktur auf, in welcher man immer verfolgtes Opfer ist und nie hassender Angreifer. Warum also den Rassisten derart entgegenkommen, indem man ihnen mit dem Verweis z. B. auf realen islamistischen Terror attestiert, ihre Ressentiments hätten eine gewisse Berechtigung?
MK: Manche sagen, man dürfe nicht zur Polizei gehen, wenn ein türkischer Ehemann seine Frau verprügelt; das schüre den Rassismus. Ich bin anderer Meinung. Man sollte unabhängig von allen sonstigen „politischen“ Erwägungen das Recht dieser Frau auf Unversehrtheit verteidigen. Der Islamismus unterdrückt, quält, foltert, tötet in erster Linie Muslime. Auch hier ist die Parteinahme gefragt, unabhängig von allen sonstigen „politischen“ Erwägungen. Wer sich um diese innermuslimische Parteinahme drückt, erweist den Islamisten so oder so einen Gefallen: Entweder, indem er Islamismus und Islam böswillig gleichsetzt und beides angreift (rassistisches Muster) oder indem er Islamismus und Islam gutwillig gleichsetzt und beides in Schutz nimmt (naiver Antirassismus).
Die Notwendigkeit der Differenzierung gilt auch bei anti-islamischen Verschwörungstheorien. Wir haben auf der einen Seite die Hamasprediger und die iranischen Politiker, die – keineswegs verschworen, sondern lautstark und öffentlich – die Weltherrschaft des Islam als Zielsetzung propagieren. „Unsere Mission transzendiert die geographischen Grenzen der islamischen Welt“, erklärte beispielsweise Ahmadinejad im September 2007. „Unsere Geistlichen stehen in der Verantwortung, die Menschheit als Ganze dazu anzuhalten, die Prinzipien der monotheistischen Herrschaft zu übernehmen.“ Ein Fernsehprediger der Hamas erklärte im Fernsehen der Palästinensischen Autonomiebehörde: „Wir haben zuvor die Welt beherrscht und, bei Gott, es wird der Tag kommen, an dem wir die gesamte Welt erneut beherrschen.“ Die Beispiele für derartige Äußerungen sind Legion.
Was Juden auf Grundlage der gefälschten „Protokolle der Weisen von Zion“ unterstellt wird, wird somit von einem bestimmten Segment der Muslime wahrhaftig und öffentlich propagiert. Natürlich wäre es verkehrt, jenes Segment mit der Mehrzahl der Muslime in Europa zu verwechseln und mit dem Argument der Geburtenrate Stimmung zu machen. Genauso verkehrt ist es aber, vor dieser Realität und dem antisemitischen Impuls der Islamisten die Augen zu verschließen: Sie wollen ihre „Befreiung der Welt“ mit der „Auslöschung des Zionismus“ beginnen.
HS: Sie behaupten, dass in Deutschland keine muslimischen Gräber geschändet werden. In Österreich und anderen europäischen Ländern ist dies aber sehr wohl der Fall. Unterschätzen Sie nicht den antimuslimischen Rassismus in Deutschland?
MK: Nein. Als ich meinen Kritik am „Jahrbuch“ des Zentrums verfasste, war mir die Tatsache, dass 17 muslimische Gräber in Hamburg geschändet worden waren, nicht bekannt. Über einige der Gräber soll ein Laken mit einem Hakenkreuz gespannt worden sein. Dass die Polizei dennoch von „unpolitischen Wirrköpfen“ sprach, ist bemerkenswert. Ähnliche Verbrechen fanden in jüngster Zeit in Frankreich statt. Ich kritisiere nicht, dass das Berliner „Zentrum“ diesen antimuslimischen Rassismus thematisiert. Ich kritisiere, wie dies geschieht.
HS: Als das DÖW und die Aktion gegen den Antisemitismus in Österreich 2002 begannen, sich auch mit dem Antisemitismus von links und muslimischer Seite auseinander zu setzten, wurden wir nicht nur kritisiert, sondern auch massiv unter Druck gesetzt. So rief ein hochrangiger Funktionär der Islamischen Glaubensgemeinschaft an, um der DÖW-Leitung mit dem Entzug von Geldern der Stadt Wien zu drohen. Leider sitzt der Herr auf einem SPÖ-Ticket im Landtag, die Drohung ist also durchaus ernst zu nehmen. Wir haben uns jedoch nicht einschüchtern lassen, ganz im Gegenteil! Ich selber wurde deswegen auch schon wiederholt mit Mord bedroht.
Sie schreiben nun von einer Neuorientierung des Zentrums für Antisemitismusforschung. Was oder wen machen Sie dafür verantwortlich? Kann es sein, dass nach seinem abgelehnten EUMC-Antisemitismusbericht 2003 auch das Zentrum unter Druck geraten ist?
MK: Ich glaube nicht, dass die jetzige Orientierung des Zentrums auf Druck von oben zurückzuführen ist. Zumindest gibt es für diese These bislang keinen Beleg. Ich vermute, dass ein bestimmtes Konzept der „political correctness“ die Forschungsarbeit des Zentrums korrumpiert. Eine Episode aus der Konferenz „Feindbild Muslim – Feindbild Jude“, die das Zentrum am 8. Dezember in Berlin veranstaltete, veranschaulicht vielleicht, was ich meine.
In einer Konferenzpause beteiligte ich mich an einer Debatte, die mehrere Konferenzteilnehmer mit Autorinnen und Autoren des Jahrbuchs führten. Ich kritisierte bei dieser Gelegenheit, dass das „Zentrum“ keinen Islamismus-Spezialisten eingeladen hatte und verwies als möglichen Referenten auf den Abteilungsleiter Islamismus des Landesamtes für Verfassungsschutz in Baden-Württemberg. Dieser Vorschlag ging im Hohngelächter einiger wissenschaftlicher Mitarbeiter des Zentrums unter: Ausgerechnet der Verfassungsschutz…hihi… haha…den werde man auch gerade einladen!
Atmosphärisch fühlte ich mich in die Vollversammlungen der Freien Republik Wendland im Jahr 1980 zurückversetzt.
Hier scheint ein naives Gefühl von „Linkssein“ sachlichen Abwägungen im Weg zu stehen. Das Dogma – hier böser Staat, dort guter Muslim – überlagert das Erkenntnisinteresse weshalb das Jahrbuch die „,Sicherheitspakete’ des Staates“ allein unter dem Aspekt der „Islamfeindlichkeit“, als ein Schurkenstreich also, subsumiert. Hier scheint mir ein Milieu federführend zu sein, das die Formel „Kampf gegen den Terror“ grundsätzlich in Anführungszeichen setzt, weil es zu wissen glaubt, dass es die Herrschenden nur aufs Öl abgesehen haben. Anders formuliert: Die Botschaft, die der 11. September speziell für die Antisemitismusforschung beinhaltet, ist in der Berliner Technischen Universität, die das Zentrum beherbergt, noch nicht angekommen.
HS: Soviel zu Ihren Erlebnissen in einer Konferenzpause. Welchen Eindruck hatten Sie vom offiziellen Teil dieser Konferenz?
Es war eine merkwürdige Tagung, auf der man über das, was strittig war, größtenteils schwieg. Besonders strittig ist der Schlüsselbegriff „Islamophobie“. Angelika Königseder, die diesen Begriff ins Jahrbuch eingeführt hatte, erklärte jedoch zu Beginn ihres Vortrags: „Ich will keine Diskussion über diesen Begriff beginnen.“ Professor Benz hatte die Tagung bereits mit der Warnung, dass man über „Begrifflichkeiten und Termini“ nicht diskutiert wolle, eröffnet. Für eine wissenschaftliche Tagung ist diese Form der Eröffnung sehr ungewöhnlich.
Die Ausklammerung kritischer Punkte setzte sich fort. In meinem Papier hatte ich die einseitige Betrachtung des Karikaturenstreits durch das Jahrbuch (hier: gute Muslime, dort: böse Medien) kritisiert. Die Institutsmitarbeiterin Angelika Königseder ließ genau diesen Abschnitt ihre Artikels im mündlichen Vortrag aus. Also fand eine Diskussion hierüber nicht statt. Die Institutsmitarbeiterin Yasemin Shooman skandalisierte in ihrem Buchbeitrag nicht den Antisemitismus unter den Muslimen, sondern den Vorwurf des Antisemitismus unter Muslimen. Auch sie zog es vor, gerade dieses umstrittene Unterkapitel ihres Aufsatzes im mündlichen Vortrag auszusparen.
Da fragt man sich, was das Zentrum unter „Wissenschaftlichkeit“ versteht. Wer nach Wahrheit, also der größtmöglichen Übereinstimmung von Sprache und Wirklichkeit strebt, wird jeden gut begründeten Einwand gegen eine formulierte These begierig aufgreifen, um zu prüfen, ob die These der Kritik standhält oder ob sie gegebenenfalls modifiziert werden muss. Wie aber soll man eine als „wissenschaftlich“ apostrophierte Tagung bezeichnen, die gezielt eben dass, was umstritten ist, ausklammert?
Am Ende der Tagung war der Unmut über diese Form der Präsentation allerdings nicht mehr zu überhören.
HS: Sie hatten kritisiert, dass das neuen Jahrbuch der „Islamophobie“ einen Schwerpunkt widmet, während beispielsweise der iranische Antisemitismus gänzlich ausgeklammert wird. Kam diese Kritik während der Konferenz zur Sprache?
MK: Zu Beginn er Tagung erlebten wir eine geradezu gespenstische Szene. Prof. Benz verlas eine längeres Zitat aus einem von ihm verfassten Aufsatz in der jüdischen Zeitschrift „Tribüne“, welches Ahmadinejad verurteilte, so, als habe er es nötig, zu beweisen, dass er Ahmadinejad verurteilt.
Am Ende der Tagung fragte ich ihn in einer vom Rundfunk übertragenen Debatte, warum der Antisemitismus und die Holocaust-Leugnung des iranischen Regimes in den Jahrbüchern 2006, 2007 und 2008 sowie auf der Homepage des Zentrums mit keiner Silbe erwähnt werden. Seine Antwort war kurz: Er sehe in dieser Hinsicht keinen Rechtfertigungsbedarf.
Dem Antisemitismus der Hisbollah, der Hamas und des Iran will man offenkundig auch in Zukunft keine besondere Bedeutung einräumen. Auf diesem Sektor mauert das einzige europäische Zentrum für Antisemitismusforschung während sich deutsche Unternehmen mithilfe des Auswärtigen Amts die Schleusen für immer neue Geschäfte mit dem Iran offen halten.
HS: Beginnt das Problem nicht schon viel früher, konkret dort wo, Antisemitismusforschung zur Vorurteilsforschung verkommt? Oder, anders gefragt: Wer den Antisemitismus nur für ein Vorurteil hält, von dem kann man doch nicht erwarten, ihn von anderen Vorurteilen unterscheiden zu können?
MK: In der Tat wird man weder das nationalsozialistische Vernichtungsprogramm gegen Juden, noch die gegenwärtigen Vernichtungsdrohungen gegen den jüdischen Staat Israel mit dem Begriff „Vorurteil“ erklären können. Das Zentrum tut dies aber und schlussfolgert daraus, dass jedes beliebige Vorurteil und jede beliebige Ausgrenzung – und sei es die Ausgrenzung von „rothaarigen Frauen oder Brillenträgern“, wie Prof. Benz in einem Interview mit dem Tagesspiegel ausführte – im Prinzip zu einem neuen Holocaust gegen die Ausgegrenzten führen könne.
Benzens Warnung im neuen „Jahrbuch“, dass die gegenwärtige Ausgrenzung der Muslime eine Shoah an den Muslimen zur Folge haben könne, hatte ich als „Trivialisierung des Holocaust“ kritisiert. Dieses Reizwort löste viel Kritik aus, ohne dass der dahinter stehende Zusammenhang je thematisiert wurde.
Man habe ihm schon oft vorgeschlagen, sein Institut in „Zentrum für Vorurteilsforschung“ umzubenennen, erklärte Prof. Benz am 8. Dezember. Der Direktor der Technischen Universität habe ihm erst kürzlich wieder diesen Vorschlag gemacht. Diese Umbenennung hätte den Vorzug der Ehrlichkeit. Im Moment schmückt sich das Zentrum mit einem Namen, dem es nicht gerecht wird, solange es den Antisemitismus lediglich als Vorurteil begreift.
HS: Herr Dr. Benz hat ja nicht sehr kollegial auf die Kritik von Ihnen und anderen reagiert. „Böswilligkeit“, „Unterstellungen“ oder „politische Attacken“ waren da noch das Höflichste, was zu hören war. Mit seiner unadäquaten Reaktion und der weitgehenden Gesprächsverweigerung (die Kritik am „Jahrbuch“ sei nicht „verhandlungsfähig“) hat Benz zumindest in meinen Augen die Berechtigung Ihrer Kritik unter Beweis gestellt. Gleichzeitig hat er in seiner Presserklärung auch die geforderte Verurteilung von islamistischen Antisemitismus nachgereicht und betont, es ginge ihm „nicht um Gleichsetzung“, sondern um einen „analytischen Transfer“. Wie beurteilen Sie zusammenfassend den Lauf der Debatte?
MK: Einerseits freut es mich, dass eine Diskussion über das neue „Jahrbuch“ zustande kam. Andrerseits bedauere ich, dass wir bisher weniger eine Sach- als eine Abwehrdiskussion erlebten.
Von den deutschen Medien haben die Frankfurter Rundschau, die Süddeutsche Zeitung und die Jüdische Allgemeine den Islamophobie-Kurs des Zentrums verteidigt (der Chefredakteur der „Jüdische Allgemeine“, Christian Böhme, warf mir witzigerweise vor, „Denkverbote“ erteilt zu haben) während der Tagesspiegel und die „taz“ verschiedene Positionen zu Wort kommen ließen und die „Welt“ und die „FAZ“ das Thema links liegen ließen.
Zahllose Kolleginnen und Kollegen haben meine Kritik – jedoch überwiegend nur privat – unterstützt. Diese Scheu vor öffentlicher Debatte spiegelt die Machtposition des Zentrums in einem bestimmten akademischen Milieu: Wer immer in Deutschland über Antisemitismus promovieren will, wird dies über jenes Zentrum tun wollen, dessen Promovendenliste derzeit 54 Namen umfasst. Prof. Benzens Rundumschlag wird die Bereitschaft jener 54 Doktoranden zur Auseinandersetzung und zur Kritik nicht unbedingt gefördert haben. Doch wer weiß? Vielleicht kommt die eigentliche Debatte ja noch.