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Nazis und der Nahe Osten
Wie der islamische Antisemitismus entstand
Über den Forschungsreaktor Garching
konkret, Juni 1996
In Garching wird in diesem Sommer mit dem Bau eines Forschungsreaktors begonnen, der nicht aus ökologischen, sondern aus politischen Gründen in das Kreuzfeuer der internationalen Kritik geraten ist.
Obwohl der Reaktor ohne Funktionsverlust mit niedrig angereichertem, d.h. waffenuntauglichen, Uran betrieben werden könnte, hat die Bundesregierung den Einsatz des Hiroshima-Stoffes “High Enriched Uranium”, kurz: HEU durchgesetzt. Die New York Times sieht darin einen “unverschämten Verstoß” gegen die weltweiten Anstrengungen, die Weiterverbreitung von Atomwaffen zu verhindern und nennt Deutschland mit Libyen und China in einem Atemzug. “Die Geschichte dieses Reaktors”, so ihr sarkastisches Resümee, “illustriert hervorragend den neuen Charakter der deutsch-amerikanischen Beziehung nach dem Ende des Kalten Kriegs.” (NYT, 22.7.95)
Die Auseinandersetzung um den Reaktor illustriert gleichzeitig das Elend der deutschen Opposition, die die außenpolitische Funktion dieser Anlage so gut wie vollständig ignoriert. Von ihr wird die wichtigste Frage, weil man die Antwort ebenso fürchtet wie ahnt, nicht einmal gestellt: Warum setzt Bonn auf das HEU?
Hochangereichertes Uran ist unbrauchbar für die Energiegewinnung und unnötig für die Forschung, als Waffenstoff jedoch optimal. Anders als Plutonium ist Waffenuran extrem leicht handhabbar. Für eine Bombe mit fortschrittlichem Sprengdesign reichen fünf Kilogramm aus. Um das Volumen/Sprengkraft-Verhältnis ihrer Bomben zu verbessern, wurden große HEU-Mengen bei modernen US-Atomwaffen eingesetzt.
Die USA sind in der NATO der einzige Produzent von Waffenuran und suchten, gestützt auf jenes Monopol, das deutsche Reaktorkonzept zu Fall zu bringen. Hinter dieser Politik steht das durchaus eigennützige Interesse, die Weiterverbreitung von HEU und Plutonium zu verhindern, um in einer Situation veränderter globaler Kräfteverhältnisse zumindest die nukleare Weltordnung (und die eigene Dominanz darin) stabil zu halten.
Seit fast 20 Jahren wird HEU in US-gesponserten Programmen durch leichtangereichertes Uran, kurz: LEU ersetzt. Weltweit ist diese Umstellung in bisher 53 von 61 Reaktoren im Gange oder erfolgt; es wurde seither (mit Ausnahme Libyens und der VR China) kein neuer HEU-Reaktor mehr gebaut. Um den Handel mit Waffenuran aus zerstörten russischen Atomwaffen zu unterbinden, sind die USA zu erheblichen Investitionen bereit. So wollen sie innerhalb der nächsten 20 Jahren russisches HEU im Wert von 12 Milliaren Dollar aufkaufen, um es für Waffenzwecke untauglich zu machen.
Von diesem Gobalkonzept wird nach dem Bau von Garching nur ein Scherbenhaufen übrig sein. Mithilfe dieses Reaktors wird die nukleare Weltordnung, der Bonn sich nicht länger unterzuordnen gedenkt, destabilisiert: Das weltweite Moratorium über den Nichtbau neuer HEU-Reaktoren wird mit Präzendenzwirkung torpediert und für die weltweite Verbreitung russischen Waffenurans eine Bresche geschlagen, da man anders an die für Garching benötigten 1000 kg HEU nicht heranzukommen glaubt. Entsprechend verbittert reagierten die USA.
1991 verweigerten sie in einem ersten Schritt die Lieferung von HEU. Später wurde bei allen potentiellen Lieferanten von Bombenuran eine Boykottbewegung initiiert: Nachdem Großbritannien im Mai 1994 auf Veranlassung des State Department erklärte, keine britischen HEU-Bestände für Garching zur Verfügung zu stellen, waren nur noch drei potentielle HEU-Lieferanten – Frankreich, Rußland und die VR China – im Spiel. “Diplomatischen Quellen zufolge tendiert Washington zu einer förmlichen Initiative mit dem Ziel, alle drei Länder dafür zu gewinnen, den Verkauf von HEU an Deutschland zu verweigern” schrieb damals das US-amerikanische Fachblatt NuclearFuel. (NF, 23.5.94) Gleichzeitig wurde innenpolitisch interveniert: Die Clinton-Administration bekräftigte ihre Ablehnung mit einer schriftlichen Stellungnahme, die man – “unaufgefordert und ohne weitere Erläuterung”, wie das Auswärtige Amt verschnupft kommentiert – nicht nur der Bundesregierung, sondern zugleich der deutschen Presse und dem Bürgermeister von München zukommen ließ. Im September 1994 folgte das Angebot des US-Energieministeriums, Deutschland die Forschungskapazitäten der USA zur Verfügung zu stellen, um in Garching den weltweit höchsten Neutronenfluß pro Energieeinheit – auf der Basis von Nichtwaffen-Uran, versteht sich – zu gewährleisten, was Bonn postwendend als Provokation und Einmischung zurückgewiesen hat.
Die USA standen mit ihrer Forderung nicht allein. Im Mai 1995 unterbreiteten elf Länder, darunter die EU-Staaten Österreich, Dänemark, die Niederlande, Norwegen, Schweden, Finnland und Irland der Konferenz zur Verlängerung des Atomwaffensperrvertrages einen Resolutionsentwurf mit der Empfehlung “keine neuen zivilen Forschungsreaktoren zu bauen, die HEU benötigen”. Im Juli 1995 sprach sich die mit dem Friedensnobelpreis bedachte Pugwash-Konferenz gegen das Garching-Konzept aus, im August 1995 schließlich auch die Internationale Atomenergie-Organisation. Sieben Jahre zuvor hatte die Sorge vor derartigen Protesten im Auswärtigen Amt zu einer deutlichen Kritik am HEU-Reaktorkonzept geführt. “Die Bundesregierung würde … erheblichen innen- und außenpolitischen Druck erwarten müssen, wenn sie den Plänen der TU München zustimmte”, hatte am 3.2.1988 das Auswärtige Amt in einer deutlich abgelehnenden Stellungnahme gewarnt.
Mit dieser Rücksichtsnahme auf das internationale Umfeld, wie sie 1988 dem Auswärtigem Amt noch geboten schien, war es mit der deutschen Einheit vorbei. Ebenso rücksichtslos wie schlau wurde nun die von Washington koordinierte Boykottbewegung mit einem Schachzug quittiert, dessen paradigmatische Bedeutung für die Zukunft der deutschen Außenpolitik gar nicht überschätzt werden kann: Zum ersten Mal wurde Rußland als Lieferant für das Bombenmaterial nach Westeuropa ins Spiel gebracht und gewonnen. Die USA waren aus guten Gründen entsetzt. Die Bundesregierung wurde unverzüglich um eine Erklärung nachgesucht und Al Gore, der Vizepräsident der USA, nach Moskau geschickt, um in Verhandlungen mit dem russischen Ministerpräsidenten Tschernomyrdin die neue HEU-Connection zu zerstören. Man sehe mit der Atomachse Moskau-Bonn die fast 20-jährigen Anstrengungen der USA, den internationalen Markt für Waffenuran auszutrocknen, “im Handstreich” zerstört, klagte das Wall Street Journal. Die International Herald Tribune bedauerte “Washingtons schwindende Fähigkeit, auf einen entscheidenden Verbündeten in Europa in einem Punkt noch Einfluß nehmen zu können, der als einer seiner wesentlichen außenpolitischen Ziele betrachtet wird.” (IHT, 21.7.95)
Bonn ist sich über die Windigkeit und die Brisanz der deutsch-russischen Zusammenarbeit auf atomwaffenrelevantem Gebiet – von 1928 bis 1932 hatten die deutsche Reichswehr mit der Rote Armee diskret kooperiert, um die Deutschland betreffenden Rüstungsbeschränkungen des Versailler Vertrages zu umgehen – im Klaren, was zu besonderen Sprachregelungen und einer Instrumentalisierung der Europäischen Atomgemeinschaft Euratom Anlaß gab. Wie NuclearFuel im Februar 1995 unter Berufung auf westliche Diplomaten erklärte, würde sich auch heute “Deutschland nicht trauen, HEU einfach so von Rußland zu kaufen. Aber wenn die Deutschen die Euratom Supply Agency (ESA) die Kaufgeschäfte machen lassen, dann kommt russisches HEU in Euratoms black box und wird später nach Deutschland für den FRM II weitergegeben.” Bis heute hat sich die Bundesregierung hinter der Euratom-Versorgungsagentur versteckt, unter deren Fittichen sie die bilateralen Lieferungen des Waffenstoffs abwickeln will.
Spätestens mit dem Ausspielen der russischen Karte ist klar, daß mit Garching keine Posse aus der bayerischen Provinz inszeniert, sondern ein machtpolitisches Exempel erster Güte statuiert worden ist. Von einem “zentralpolitischen” Thema sprach der Vertreter der Bundesregierung in der vertraulichen Rundes des Bundesforschungsausschusses in Bonn, “wobei die entscheidende Frage bei diesem Thema die nach dem Konflikt mit den USA sei.” Diese Frage ist heute beantwortet. Im Poker um Garching hat die Bundesregierung die US-amerikanische Außenpolitik auf einem für sie wesentlichen Terrain herausgefordert und mit einer russischen Karte geschlagen. Entsprechend forsch wird derzeit auf das nationale Interesse gepocht und die Kritik an der Verwendung von HEU als Nestbeschmutzung und Vaterlandsverrat stigmatisiert. “Jeder, der das Garchinger Projekt beanstandet, diffamiert die Bundesrepublik” hatte ein Vertreter der den Reaktor betreibenden TU München kürzlich erklärt. “Es sei verständlich”, betonte in der schon erwähnte Sitzung des Bundesforschungsausschusses der Vertreter der CDU, “wenn Amerikaner ihre Interessen verträten, aber er nehme es einem deutschen Abgeordneten, einer deutschen Landesregierung oder gar Bundesregierung übel, wenn sie nicht die deutschen Interessen ebenso dezidiert vertreten würden.”
Es bleibt die Rätselfrage nach dem Motiv. Warum liegen die Interessen der Bundesrepublik in diesem HEU? Warum wird unter die internationalen Bemühungen zur Nichtverbreitung von Atomwaffen eine deutsche Bombe gelegt?
Der PDS-Bundestagssprecher beantwortet diese Frage wie folgt: “Es ist reines Prestigedenken, daß die TU München beabsichtigt, ihren neuen Forschungsreaktor mit waffenfähigem Uran zu betreiben.” Frau Sturm, eine Sprecherin der bayerischen Grünen ergänzt: “Weil eine unbelehrbare Bayerische Staatsregierung und wenige verantwortungslose Wissenschaftler an der Technischen Universität München an ihren vermeintlich billigeren Reaktorplänen festhalten.” Weil der “miefig-provinzielle Starrsinn einer Handvoll Garchinger Professoren offenbar schwerer wiegt als der Kampf gegen die Verbreitung von Atomwaffen”, resümiert schließlich Gerd Rosenkranz in der taz. All diese Antworten gehen von einer gemeinsamen Voraussetzung aus: Auf die Frage nach dem Motiv der deutschen HEU-Politik ist jede noch so absurde Antwort willkommen, sofern nur das Tabuthema der deutschen Macht- und Atomwaffenpolitik sorgfältig ausgeblendet bleibt.
Diese Denkblockade hat bei den deutschen HEU-Gegnergruppen Tradition, hat man durch usprünglich die “deutschen Interessen” und mit dem eigenen Anliegen identifiziert und das HEU-Konzept also angegriffen, um die Glaubwürdigkeit der deutschen Außenpolitik zu verteidigen. Hierzu gesellte sich die Sorge um die Reputierlichkeit der eigenen Kritik, wie sie etwa in dem artigen Glaubensbekenntnis von 50 deutschen Physikern in ihrem Offenen Brief gegen den Einsatz des Bombenurans zum Ausdruck kam: “Wir glauben auch nicht, daß hier irgendwelche Kernwaffenoptionen bestehen. Die politische Situation in Deutschland ist im Gegenteil günstig zu beurteilen.” Als im April dieses Jahres diese freundlichen Worte ebenso wie die beredte Sorge um die Glaubwürdigkeit der deutschen Politik ignoriert und die Genehmigung für den HEU-Reaktor erteilt wurde, hätte dies eigentlich ein böses Erwachen zur Folge haben müssen. Doch Pustekuchen! Je offensiver sich die deutsche Nuklearpolitik zu ihren Zielen bekennt, desto beflissener weichen die deutschen Kritiker zurück. In der Kommentarspalte der taz wurde die von Bayern erteilte Baugenehmigung für den HEU-Reaktor als “Niederlage … für die Bonner Außenpolitik” und “ein Affront … gegen Bonn” interprertiert. “Nur: Klaus Kinkel merkt es nicht oder will es nicht merken” schreibt Gerd Rosenkranz und tröstet die taz-LeserInnen mit dem Hinweis, daß noch einige Jahre bis zur Inbetriebnahme vergehen werden: “Fünf Jahre zum Nachdenken. Über Prioritäten.” (taz, 10.4.96) Wo Aufklärung erforderlich gewesen wäre, wird Gegenaufklärung betrieben und die mit dem HEU vollzogene Weichenstellung der deutschen Großmachtpolitik affirmiert.
Aus welchem Grund setzt Bonn auf das HEU? Wer diese Frage ernsthaft stellt, wird in etwa auf die folgenden Antworten stoßen:
Es besteht erstens das statuspolitische Interesse, der Welt zu zeigen, daß die Bundesrepublik ihre nuklearen Interessen auch gegen den Willen der USA durchzusetzen in der Lage ist. Mit der am Beispiel Garchings demonstrativen Immunität gegen Proteste von außen wird ein Politikmuster geprägt, auf das bei künftigen Atomprojekten, etwa im Rahmen der Europäischen Union, zurückgegriffen werden kann.
Es zählt zweitens das außenpolitische Interesse, den Umgang mit den nuklearen Hinterlassenschaften der GUS-Staaten nicht den USA zu überlassen, sondern auf diesem sensiblen Gebiet einen selbstständigen Part zu übernehmen. Diese Ambition stand hinter dem Agieren deutscher Geheimdienste beim “Plutonium-Schmuggel” von 1994 und sie ist heute das maßgebliche Motiv für den Plan, russisches Waffenplutonium mit deutscher Technologie zu Mox-Brennelementen zu verarbeiten. Mit Garching wurde
auf diesem Feld ein Durchbruch geschafft.
Und es gibt drittens ein materielles Interesse am HEU. Der Münchener Reaktor verschafft der deutschen Politik auf Jahrzehnte einen Vorwand für die nationale Lagerung von großen Mengen an Bombenuran.() Wer über derartige Stoffe verfügt, kann Atomwaffen bauen, oder mit dem Bau der Atomwaffe drohen. Wie zum Beispiel die außenpolitischen und abrüstungspolitischen Sprecher der CDU-Bundestagsfraktion, Carl Lamers und Friedbert Pflüger in einer gemeinsamen Erklärung vom 6. Mai 1996. Sie stellen darin fest, daß Bundesrepublik “jederzeit technisch in der Lage ist, diese (atomaren) Waffensysteme zu entwickeln.” In Frankreich hat man diese Mitteilung gehört.
Mit einer derartigen Einschätzung haben die deutschen Garching-KritikerInnen in der Regel überhaupt nichts am Hut, da ihnen die Loyalität zur eigenen Regierung wichtiger ist, als die Konsequenz der eigenen Kritik. So konnten sich die 50 deutsche Physikerinnen und Physiker, die in einem “Offenen Brief” gegen den HEU-Reaktor protestiert hatten, den folgenden, als Glaubensbekenntnis gefassten Kotau an die Obrigkeit nicht verkneifen: “Wir glauben auch nicht, daß hier irgendwelche Kernwaffenoptionen bestehen. Die politische Situation in Deutschland ist im Gegenteil heute eher günstig zu beurteilen.” Darüberhinaus wird die Diskussion über die deutschen HEU-Interessen schon deshalb nicht geführt, weil die Existenz derartiger Interessen geleugnet und die deutsche Außenpolitik beständig gegen “eine unbelehrbare Bayerische Staatsregierung und wenige verantwortungslose Wissenschaftler an der Technischen Universität München” (so eine Sprecherin der bayerischen Grünen) in Schutz genommen worden wird. Die Bundesregierung hat sich für dieses Entgegenkommen auf ihre Weise bedankt und
Die dezidierte Gleichsetzung von nationalem Großmachtinteresse und HEU stellt die Garching-KritikerInnen vor die Alternative, sich mit der deutschen Großmacht- und Nuklearpolitik anzulegen, oder sich ihr anzupassen. Die Anpassung funktioniert als Identifikation mit der Bonner Außenpolitik: Es wird ausgeklammert, was in das positiv gefärbte Bild nicht passt. Jede noch so abstruse Erklärung für die HEU-Option wird dankbar aufgegriffen, sofern das Tabutheme der deutschen Macht- und Atomwaffenpolitik weiterhin brav ausgeklammert bleibt. “Zu den im eigenen Land wenig honorierten Leistungen der jüngeren deutschen Außenpolitik gehört eine eigenständige nukleare Abrüstungsdiplomatie, die Bonn bei anderen Staaten ohne Kernwaffen ein hohes Maß an Glaubwürdigkeit einbrachte. Dieser Vertrauensvorschuß wird in Garching verspielt”, bedauerte am 16. April dieses Jahres Gerd Rosenkranz anläßlich der Baugenehmigung für Garching auf der Titelseite der taz, weshalb “die von der bayerischen Staatsregierung erteilte Baugenehmigung … eine Niederlage … für die Bonner Außenpolitik” sei, sowie “ein Affront …gegen Bonn. Nur: Klaus Kinkel merkt es nicht oder will es nicht merken.” (taz, 10.4.96) Wenn man die Komik derartiger Aussagen einmal beiseite läßt, bleibt über, das man sich arrangiert. Da werden zwar weitere Grundlagen für die deutsche Atomwaffe und eine Bombe unter die internationalen Nonproliferationsbemühungen gelegt gelegt. Die Opposition aber guckt einfach nicht hin, sondern findet sich ab.
(aus: konkret 6/1996)