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Nazis und der Nahe Osten
Wie der islamische Antisemitismus entstand
Im Juni bekam Weimar Besuch aus der iranischen Partnerstadt Schiras. Zum KZ wollte die Delegation aber nicht gehen. Trotzdem soll die Städtefreundschaft fortgeführt werden.
Die Welt, 20. Juli 2010
“Sage mir, mit wem du gehst – und ich sage dir, wer du bist!“, heißt es in einem Schreiben, das zwei Holocaust-Überlebende Anfang dieses Monats an Weimars Oberbürgermeister Stefan Wolf (SPD) schickten. Die Autoren sind Jacob Silberstein, der Vorsitzende der Organisation ehemaliger Sträflinge in Buchenwald, und Fanny Englard, die Leiterin der Organisation Perpetuation of Memory of the Holocaust.
Am 14. Juli 2007 befand sich Stefan Wolf an der Seite ehemaliger Sträflinge aus Buchenwald, dem unmittelbar bei Weimar gelegenen KZ. An diesem Tag kamen Buchenwald-Überlebende aus 20 Nationen im Festsaal des Rathauses zusammen. In einer feierlichen Zeremonie versprach die Stadt Weimar, „sich dafür einzusetzen, dass Ihr Vermächtnis zum Kern des demokratischen Selbstverständnisses … gehört und dauerhaft gehören wird. Wir werden nationalsozialistisches Gedankengut, Rassismus und Antisemitismus immer mit aller Kraft bekämpfen.“[1]
Am 18. Juni 2009 befand sich der Oberbürgermeister an der Seite von Mehran Etemadi, dem Stadtoberhaupt von Schiras. An diesem Tag begründeten sie eine Städtefreundschaft zwischen der Goethestadt Weimar und dem Geburtsort des persischen Dichters Hafis.[2] Goethe war von Hafis fasziniert und hatte sich bei seiner Gedichtsammlung „West-östlicher Divan“ von dessen Versen inspirieren lassen, um, wie er schrieb, „das Persische und das Deutsche zu verknüpfen“.[3] Derzeit freilich kann von einer Verknüpfung im Geiste Goethes und Hafis’ keine Rede sein.
Im heutigen Teheran würde Hafis, der im 14. Jahrhundert die Freuden des Weins und der Liebe besang, hinter Gittern schmachten, so wie viele zeitgenössische iranische Künstler, die mit Schikanierung, Indizierung, Inhaftierung und Hinrichtungen konfrontiert sind. Dies gilt besonders seit dem 12. Juni 2009, dem Tag der gefälschten Wahl. Als die blutige Unterdrückung der iranischen Demokratiebewegung durch die Revolutionswächter begann, besiegelte Weimars Oberbürgermeister die Städtefreundschaft in Schiras.
Immerhin hatte Stefan Wolf das deutsch-iranische Bündnis unter einen Vorbehalt gestellt: „Wir machen eine mögliche Städtefreundschaft davon abhängig, wie der Iran mit dem Thema Buchenwald umgeht beziehungsweise wie man in Schiras damit umgehen darf. Den Holocaust zu leugnen lässt sich mit einer Freundschaft zu Weimar nicht vereinbaren.“ [4] Volkhard Knigge, der Direktor der Gedenkstätte Buchenwald, sprach gar von einem „Lackmustest“.
Dann aber reiste Mehran Etemadi, der Oberbürgermeister von Schiras, nach Weimar und provozierte einen Eklat: Er und seine sechsköpfige Delegation lehnten am 23. Juni 2010 den geplanten Besuch der Gedenkstätte Buchenwald ab. Der Lackmustest fiel eindeutig aus: Schiras sagte Ja zu Weimar, aber bitte ohne Buchenwald.
Einige waren begeistert: „Ich beglückwünsche die iranische Delegation zu ihrer Standhaftigkeit … Sie lassen sich nicht vor den Karren der Holo-Industrie spannen“, notierten Rechtsradikale auf dem NPD-nahen Internetportal Altermedia. Der Weimarer Stadtrat war hingegen empört und sagte eine Begegnung mit der iranischen Delegation ab. Und der Weimarer Oberbürgermeister? Er lud die Schiras-Delegation am Folgetag zum Abendessen ein. Eine Konfrontation sollte trotz des Eklats vermieden und an der Freundschaft mit Schiras weiter festgehalten werden.[5]
Anfang dieser Woche bestätigte Fritz von Klinggräff, der Weimarer Pressesprecher, die Kurskorrektur. Man habe die Forderung, dass Buchenwald von Anfang an ein Bestandteil dieser Städtefreundschaft sein müsse, abgeschwächt und durch die „Metapher vom ,langen Weg‘ ersetzt“. Man brauche eine lange gemeinsame Strecke und müsse „wie bei jedem interkulturellen Austausch sehen, wie Kompatibilität hergestellt wird“.[6] Lässt sich die iranische Holocaust-Leugnung mit der Städtefreundschaft nun also doch vereinbaren? Ja, sagt die Weimarer Stadtverwaltung und führt folgende Argumente an:
Erstens habe der Austausch der zwei Kommunen mit der iranischen Regierung, die den Holocaust leugne, nichts zu tun. Tatsächlich? Noch im März dieses Jahres hatte Mahmud Ahmadinedschad seinen Kulturminister und Vizepräsidenten, Hamid Baghaie, in die Goethestadt geschickt, um den Besuch der Schiras-Delegation vorzubereiten. Weimar war auch zu Gesprächen mit der Regierung des Iran bereit.[7]
Zweitens habe die Schiras-Vertretung mit der Regierung des Iran nichts zu tun, gehöre sie doch politisch dem Reformlager an. Tatsächlich? Im Juli 2009 fällte der Stadtrat von Schiras die Entscheidung, seine kulturellen Beziehungen mit Weimar auszusetzen, um auf diese Weise gegen eine Sympathiebekundung Angela Merkels für die iranische Demokratiebewegung zu protestieren.[8] Würde sich ein Stadtrat, der mit der Reformbewegung sympathisiert, so verhalten?
Drittens sei die Absage des Buchenwald-Besuchs aus Sicherheitsgründen nachvollziehbar: Wäre die Delegation zur Gedenkstätte gegangen, hätte sie hinterher in Teheran verhaftet werden können.[9] Da stellt sich jedoch die Frage, welchen Zweck eine Städteverbindung im Schatten des Terrors haben kann, eine Städtefreundschaft, bei der „das Besuchsprotokoll im Voraus mit der iranischen Botschaft in Berlin abgestimmt“ werden muss, wie der Bürgermeister von Schiras erklärt.[10] Wenn selbst das Stadtoberhaupt derart unter Kontrolle steht, kann von „Bürgerbegegnung“ keine Rede sein.
Vermutlich wäre jedoch dem Bürgermeister von Schiras, hätte er Buchenwald besucht, überhaupt nichts passiert. Der iranische Staat ist kein Monolith und Ahmadinedschads obsessive Holocaust-Leugnung auch innerhalb der Apparate unbeliebt. Umso gespannter beobachten die Gegner des iranischen Präsidenten, wie eine Kulturhauptstadt vom Range Weimars auf die Demütigung seiner Gedenkstätte reagiert.
Im Weimarer Stadtrat ist es derzeit allein die achtköpfige Fraktion „Weimarwerk Bürgerbündnis e.V.“, die alle offiziellen und inoffiziellen Kontakte mit Schiras beenden und somit ein „klares Signal an das autoritäre, scheindemokratische Regime im Iran“ senden will.[11] Alle anderen Parteien tragen das Kontinuitätskonzept des Bürgermeisters mit, wobei sich die Fraktionen der Linkspartei und der Neuen Linken durch besonderen Eifer auszeichnen: Jetzt komme es darauf an, schreibt die Neue Linke zum Buchenwald-Eklat, „dass die Kontakte zwischen beiden Städten … ausgebaut werden“.[12]
Die Bedeutung des Eklats geht über Weimars Rathaus weit hinaus. Buchenwald war bei Kriegsende das größte KZ auf deutschem Boden. 2009 hatte Barack Obama an der Seite des Friedensnobelpreisträgers Elie Wiesel die Gedenkstätte besucht. Bei dieser Gelegenheit hatte Oberbürgermeister Wolf dem amerikanischen Präsidenten das Gelübde der Stadt Weimar, das Vermächtnis der Buchenwald-Überlebenden pflegen zu wollen, überreicht.
Die Islamische Republik Iran ist demgegenüber der erste und einzige Staat der Welt, der die Leugnung des Holocaust in das Zentrum seiner Außenpolitik rückt: mit Karikaturenwettbewerben, internationalen Konferenzen, Ausstellungen und Veröffentlichungen. In Weimar ging die iranische Delegation einen Schritt darüber hinaus. Sie hat mit ihrer beispiellosen Absage das konkrete Gedenken an 56000 ermordete Menschen infrage gestellt, beleidigt und verhöhnt.
Dementsprechend kritisch fiel am 13. Juli die Antwort des Auswärtigen Amts auf meine Bitte um Stellungnahme aus: Zwar liege die Entscheidung „über das Aussetzen beziehungsweise das Fortführen der Städtefreundschaft mit Schiras“ im Ermessen Weimars. Doch sei davon auszugehen, „dass die Stadt Weimar in ihre Entscheidung die Tatsache ihrer besonderen Geschichte und der daraus resultierenden Verantwortung mit einbeziehen wird“.[13]
Unbeantwortet blieb bislang jedoch der Brief, den Jacob Silberstein und Fanny Englard an den Oberbürgermeister richteten. „Sage mir, mit wem du gehst – und ich sage dir, wer du bist!“, schreiben sie darin. „Entweder ,Weimar-Buchenwald‘ oder ,Iran-Verleugnung des Holocausts‘. ,Gedenke!‘ ist der letzte Schrei der Holocaust-Opfer, und eine Städtefreundschaft Weimar–Iran ist ein Verrat gegen das ,Gedenke!‘.“
Der Autor ist Politikwissenschaftler und Publizist (“Die Deutschen und der Iran – Geschichte und Gegenwart einer verhängnisvollen Freundschaft“, wjs-Verlag, 2009).
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[1] Zitiert nach der gemeinsamen Erklärung des „Internationalen Komitees Buchenwald-Dora und Kommandos“ sowie der Stadt Weimar („Erinnerung leben und Verantwortung übernehmen“) vom 14. Juli 2007; ein Bericht über diese Feier ist in der Laudatio enthalten, die der Oberbürgermeister Stefan Wolf am 3. Oktober 2009 im Deutschen Nationaltheater Weimar auf den neuen Ehrenbürger der Stadt Weimer, Bertrand Herz, dem Vorsitzenden jenes Internationalen Buchenwald-Komitees, hielt.
[2] Hafez, Goethe Connect Philosophy of East and West: Shiraz Mayor, in: www.chnpress.com, 19. Juni 2009.
[3] So Goethe in einem Brief an seinen Verleger Cotta, zit. nach Frieder von Ammon, Eine heitere Verknüpfung von Orient und Okzident, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 3. Juli 2010.
[4] Besuch der iranischen Delegation formierte Protest in Weimar, in: Thüringer Allgemeine (TA), 11. März 2010.
[5] Thorsten Büker, Weimarer Städtefreundschaft: Iraner bleiben Buchenwald fern, in: TA, 24. Juni 2010.
[6] Telefonische Auskunft des Pressesprechers der Stadt Weimar vom 12. Juli 2010.
[7] Jens Lehnert, Besuch der iranischen Delegation formierte Protest in Weimar, in: TA, 11. März 2010 sowie: Baqaie urges expansion of German-Iranian cultural ties, in: www.irna.de, 11. März 2010.
[8] Stadtrat von Schiraz stimmt für Suspendierung kultureller Beziehungen zu Weimar, german.irib.ir, 6. Juli 2009.
[9] Ariane Lemme, Das Ende einer Partnerschaft, in: Tageszeitung (taz), 26. Juni 2010.
[10] DPA, Iran denies planning official visit to Nazi concentration camp, 25. Juni 2010.
[11] Schiraz: Unterschiedlich reagieren die Fraktionen auf den Buchenwald-Affront, in: Thüringer Landeszeitung, 29. Juni 2010.
[12] Standpunkt der Franktion nl: Schiraz-Besuch in Weimar, auf: www.neuelinke.org .
[13] Scheiben des Pressereferats des Auswärtigen Amts vom 13. Juli 2010 an den Autor.