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Nazis und der Nahe Osten
Wie der islamische Antisemitismus entstand
Nachdruck eines Textes von September 2011
Hamburg, den 9. September 2013
Bei dem nachfolgenden Beitrag handelt es sich um das gekürzte, ansonsten aber unveränderte Manuskript eines Vortrags, den ich am 13. September 2011 unter dem Titel „Israel und der arabische Frühling. Hoffnungen und Sorgen“ in Bremen hielt. Veranstalter war die bremische Deutsch-Israelische Gesellschaft.
Der Text macht klar, dass sich der am 3. Juli 2013 erfolgte Zusammenstoß – die Absetzung des Islamisten Mursi in Ägypten – bereits in den ersten Monaten des „ägyptischen Frühling“ abzeichnete und früher oder später unvermeidlich war.
Wenn ich die Stimmung in den diesjährigen Kommentaren über den 11. 9. richtig beobachtet habe, könnte man sie etwa so umschreiben: Nach den zehn verlorenen Jahren, die dem 11. September folgten, hat mit dem arabischen Frühling endlich die neue Epoche der Demokratisierung, der Befreiung, der Emanzipation begonnen. Ich bin gern Botschafter guter Nachrichten, doch in diesem Fall ist meine Gesamtbild so optimistisch nicht.
Der „arabische Frühling“ zeichnet sich, wenn ich es richtig sehe, durch drei Konfliktlinien aus, die sich überlagern und eine Gemengelage bilden: Erstens der Konflikt zwischen Herrscher und Volk. Zweitens der Konflikt zwischen Volk und Volk und drittens der Konkurrenzkampf zwischen den Mächten in der Region: Hier Iran, dort Saudi-Arabien und irgendwo in der Mitte die Türkei.
Herrscher versus Volk
Der Konflikt zwischen Herrscher und Volk ist das, was uns am Vertrautesten ist. Das meiste, was darüber geschrieben wird, stimmt: Auslöser dieses Frühlings ist eine unzufriedene Jugend – mehr als 30 Prozent der Gesamtbevölkerung in den arabischen Staaten ist zwischen 20 und 35. Die neuen Technologien erleichterten nicht nur den Blick auf die eigene Misere im Vergleich zur Lage der Jugend in anderen Teilen der Welt. Sie erwiesen sich auch – wie bereits bei der Erhebung der Iraner im Juni 2009 – als wirksamstes Mittel der Mobilisierung.
Beispiel Ägypten: Hier hatte anfänglich eine Facebook-Gruppe mit der Bezeichnung „Jugendbewegung 6. April“ eine entscheidende Rolle gespielt. Warum 6. April? Weil diese Facebook-Gruppe im Frühling 2008 einen Streik unterstützte, der für den 6. April in der Industriestadt Er-Mahalla El-Kubra angesetzt war. Dieser Streik wurde massiv von Bloggern, Twittern und Facebookern unterstützt.
Ein Jahr später hatte die „Jugendbewegung 6. April“ bereits 70.000 junge gebildete Leute um sich geschart, die für die Redefreiheit, gegen Nepotismus und bessere soziale Chancen rebellierten.
Beim arabischen Frühling 2011 spielten diese Gruppe und insbesondere zwei ihrer weiblichen Führungsmitglieder – Asmaa Mahfouz und Israa Fattah – eine herausragende Rolle.
Volk versus Volk
Nun zum Konflikt „Volk gegen Volk“, also zum Bürgerkrieg. Hier ist von den begeisternden Attributen des „arabischen Frühling“ – friedlich, einheimisch, spontan und allem Anschein nach geeint – wenig geblieben. An die Stelle der liberalen Blogger treten, wie in Libyen, bewaffnete Gruppen oder, wie in Syrien, organisierte politische Tendenzen, die sich gegenseitig bekämpfen. Die Unschuld der ersten spontanen Bewegungen ist geschwunden. Machtwille und Bewaffnung sind stattdessen die Faktoren, die zählen. Selbst in Ägypten zeichnet sich die Gefahr eines solchen Bürgerkrieges ab: Hier stehen sich die säkularen Kräfte und die militanten Anhänger eines Gottesstaats – die sogenannten Salafisten – zunehmend unversöhnlich gegenüber.
So wurden in den ersten drei Monaten der ägyptischen Erhebung bei Angriffen gegen die koptischen Christen 24 Menschen getötet, 200 verletzt und drei Kirchen abgebrannt. In Al-Arisch, einer Großstadt in der Nähe von Gaza, wurden bei einem Überfall auf eine Polizeiwache 5 Menschen getötet und 19 verletzt. In der Provinz Fayoum gab es einen Toten und acht Verletzte, als Salafisten gewalttätig ein Alkoholgeschäft und ein Café schließen wollten. Anderswo wurde das Haus einer angeblich unzüchtigen Ägypterin in Brand gesteckt und einem Christen wegen angeblich unzüchtigen Verhaltens ein Ohr abgeschnitten.
Es handelt sich bislang um Einzelfälle, die ich nicht dramatisieren will. Doch sie zeigen, dass der Keim für bürgerkriegsähnliche Auseinandersetzungen auch in Ägypten existiert.
Macht versus Macht
Last but not least werden die Auseinandersetzungen vom Machtkampf zwischen regionalen Mächten geprägt. Dieser Aspekte wurde im Laufe der letzten Monate immer wichtiger. Immerhin steht die strategische Balance der Region auf dem Spiel: Wird Syrien ein Partner des Iran bleiben? Wir sich Bahrein vom Einfluss Saudi-Arabiens lösen? Wird die Türkei Einfluss gewinnen oder verlieren?
Plötzlich spielen sich so repressive Regimes wie Saudi-Arabien und Bahrein als die Beschützer der friedlichen Proteste in Syrien auf. Plötzlich hilft das iranische Regime, das sich in Bahrein über Unterdrückung beschwert, bei der Unterdrückung in Syrien mit.
Besonders stark hat sich Iran in Ägypten engagiert. Im März 2011 lud der iranische Außenminister seinen ägyptischen Gegenpart nach Teheran ein. Im Mai erklärte Ahmadinejad, dass sein Land auch die Atomtechnik mit Ägypten teilen wolle. Kairo brauche dann keine amerikanische Hilfe mehr und könnte mit Iran vereint Israel besiegen.
Anfang August 2011 kam mit Alaeddin Boroujerdi ein prominenter iranischer Politiker nach Kairo. Er kam als Gesandter des Parlamentspräsidenten Ali Larijani und überbrachte eine Einladung zu einer Palästina-Tagung in Teheran im Oktober 2011.
Erdogans gegenwärtiger Besuch in Kairo will an die Stelle des iranischen den türkischen Einfluss setzen. Ihm wurde allerdings durch die ägyptische Übergangsregierung sowohl eine öffentliche Rede wie auch die geplante Reise nach Gaza untersagt.
Revolution und Konterrevolution in Ägypten
Schauen wir uns nun den Ablauf der Ereignisse in Ägypten genauer an. Genau einen Monat, nachdem am 17. Dezember 2010 die Selbstverbrennung eines tunesischen Gemüsehändlers die dortige Protestbewegung entflammte, setzte sich am 17. Januar 2011 auch ein Ägypter vor dem Parlament seines Landes in Brand. Die Bewegung 6. April begann mit mehr als 20.000 Flugblättern für eine Großkundgebung am 25. Januar zu werben. In der letzten Sekunde sprang auch die Muslimbruderschaft auf den Mobilisierungszug mit auf. Zehntausende kamen zum Tahrir-Platz. Die nachfolgende Freitagsdemonstration brachte am 28. Januar Hunderttausende auf die Straße.
14 Tage später, am 11. Februar 2011, dankte Mubarak ab. Der Oberste Rat der Streitkräfte übernahm die Führung, löste das Parlament auf und setzte eine Übergangregierung ein.
Dieser 11. Februar war der Kulminationspunkt der ägyptischen Erhebung: Etwa ein Viertel der 1 Mio. Menschen auf dem Platz waren Frauen. Christen und Muslime kämpften demonstrativ Hand in Hand, die Einheit und die Friedlichkeit der Anti-Mubarak-Bewegung wurde über alles andere gestellt.
Doch nur ein halbes Jahr später schlug die Stimmung vollständig um, wie der Massenaufmarsch vom 29. Juli 2011 – exakt 24 Wochen nach dem 11. Februar – beweist.
Auch für die Freitagsdemonstration des 29. Juli hatten die religiösen und die nichtreligiösen Kräfte vereinbart, sich gegenseitig zu respektieren und keine spalterischen Parolen zu rufen. Doch es kam anders. Der 29. Juli war für die liberalen und säkularen Kräfte ein Schock: Schon am Nachmittag verließen 28 Gruppen aus diesem Spektrum geschlossen und unter Protest den Platz. Was war geschehen?
An diesem 29. Juli 2011 hatten erstmals die Muslimbrüder und die noch radikaleren Salafisten von ganz Ägypten aus nach Kairo mobilisiert. Zehntausende wurden in Bussen nach Kairo gekarrt. Schon in aller Frühe hatten die Salafisten Transparente mit Losungen wie „Das Islamische Recht steht über der Verfassung“ oder „Gemeinsam auf dem Weg zum Himmel!“ angebracht.
Alle Eingänge zum Tahrir-Platz wurden von Salafisten kontrolliert, wer säkulare Parolen rief, wurde gestört, wer sich als Christ zu erkennen gab, vertrieben. Als eine Jugendgruppe der Muslimbrüder, wie gewohnt, nationalistische Lieder spielte, bewarfen die Salafisten sie mit Orangen, da sie nur das Abspielen von Korangesängen akzeptierten. Überall wehte die saudische Flagge. Zentrale Sprechchöre der Demokratiebewegung wurden aufgegriffen, aber in ihrem Sinn verdreht.
Aus: „Erhebe deinen Kopf, du bist ein Ägypter!“ wurde „Erhebe deinen Kopf, du bist ein Moslem!“.
Aus „Das Volk will, dass das Regime geht!“ wurde: „Das Volk will, dass die Scharia gilt!“
Eine der beliebtesten Parolen lautete: „Obama Obama – Wir alle sind Osama!“. Auf dem Platz stand ein großes Plakat mit den Fotos von Osama Bin Laden, von Scheich Jassin, dem früheren Führer der Hamas, von Hassan al Banna und Sayyid Qutb, den prominentesten Führern der Muslimbruderschaft und von Scheich Omar Abdel Rahman, dem Initiator des Attentats auf das World Trade Center von 1993, der momentan in einem amerikanischen Gefängnis sitzt. Unter diesen Fotos die Parole: „Ihr seid in unseren Herzen – wir werden euch nie vergessen“.
In den internationalen Medien wurde über diesen 29. Juli 2011 berichtet: „In einer Stärkedemonstration überfluten die Islamisten den Platz von Kairo“ lautete die Schlagzeile der New York Times. „Die Ägypter lehnen sich gegen die liberale Protestbewegung auf“, hieß die Überschrift im Wall Street Journal. Aus den deutschen Zeitungen erfuhr ich über diesen bemerkenswerten 29. Juli nichts.
Qaradawi versus Wael Ghonim
Bis zum 11. Februar – dem Tag des Mubarak-Rücktritts – dominierte die Jugendbewegung den von ihr initiierten Protest. Doch bereits am 18. Februar – eine Woche später – wurden die etwa eine Millionen Menschen, die zum Tahrirplatz geströmt waren, um ihren Sieg über Mubarak zu feiern, von dem weltweit bekanntesten Muslimbruder, Scheich Jussuf al-Qaradawi begrüßt.
Als Google-Mitarbeiter Wael Ghonim als Repräsentant der Jugendbewegung mit auf die Bühne wollte, um zumindest symbolisch eine Art Gleichgewicht zwischen dem religiösen und dem nicht-religiösen Flügel herzustellen, wurde er daran gehindert.
Qaradawi ist als Befürworter des Holocaust („Immer wieder schickte Allah jemanden, der die Juden wegen ihrer Korruption bestrafte. Die letzte Bestrafung führte Hitler durch“) ein eingefleischter Antisemit. Natürlich präsentierte er am 18. Februar nicht sein ganzes Progamm. Doch war er es, der an diesem Tag die Bühne des Tahrir-Platzes dazu nutzte, zur Eroberung Jerusalems aufzurufen.
Die zweite Niederlage der nicht-islamistischen Kräfte fand am 19. März, einen Monat später, statt. An diesem Tag kam es zu einem Referendum. Das Volk sollte für eine Übergangszeit die alte ägyptische Verfassung mit einigen kleineren Modifikationen bestätigen.
Für die Muslimbruderschaft war das Festhalten an dieser Verfassung ein wesentlicher Punkt: 1971 hatte der damalige ägyptische Ministerpräsident Anwar as-Sadat unter dem Druck der Muslimbruderschaft in der ägyptischen Verfassung festschreiben lassen, dass die Scharia nicht nur eine Quelle der Gesetzgebung, sondern deren Hauptquelle sei. El Baradei, Amr Moussa, die Frauenbewegung, die Kopten, die jungen Revolutionäre – sie alle wollten aber endlich eine säkulare Verfassung haben und plädierten am 19. März für ein Nein.
Doch sie wurden geschlagen. Erstmals stellte die Muslimbruderschaft ihre landesweite Mobilisierungsfähigkeit unter Beweis: Sie plakatierten überall im Lande und suggerierten, dass das „Ja“ für diese Verfassung eine religiöse Pflicht sei. Gleichzeitig wurde die revolutionäre Jugendbewegung als Bewegung reicher Kinder diffamiert. Das Ergebnis: 41 Prozent der 45 Mio. Wahlberechtigten nahmen an der Abstimmung teil. 77 Prozente stimmten für die alte Verfassung, 23 Prozent stimmten dagegen.
Als Konsequenz aus dieser Entwicklung formulierten die säkularen Kräfte im Einklang mit Teilen der Übergangsregierung die Parole: „Verfassung zuerst!“ Was bedeutete diese Forderung?
Man wollte mit den Kräften, die real die ägyptische Erhebung getragen haben, einen Verfassungsausschuss bilden und eine neue (möglichst säkulare) Verfassung verabschieden lassen. Anschließend sollte gewählt und dann auch das absehbare Ergebnis – eine starke Dominanz der Muslimbruderschaft – akzeptiert werden.
Der Alternativplan der Muslimbrüder sah vor, erst zu wählen und dann vom neugewählten Parlament jenen Verfassungsausschuss bilden zu lassen, der mit großer Sicherheit die Scharia in der Verfassung belassen würde.
Auch hier erlitten die säkularen Kräfte eine Niederlage: Der Militärrat verbündete sich mit den Muslimbrüdern. Er entschied am 13. Juli, die Wahlen im November stattfinden zu lassen. Erst nach den Wahlen soll ein 100-köpfiger Verfassungsausschuss des neuen Parlaments die Verfassung formulieren.
Wenige Wochen später folgte am 29. Juli die bereits erwähnte Stärkedemonstration der Muslimbrüder und der Salafisten auf dem Tahrirplatz – ein Schlag, von dem sich die liberale und säkulare Bewegung seither nicht wirklich hat erholen können.
Wir sehen: Der Ausgang des ägyptischen Frühlings wird offenkundig nicht von denen entschieden, die mit ihm begonnen haben. Bis heute hat sich auf der Ebene der Wahlen kein wirklicher Gegenpol zur Muslimbruderschaft formiert.
Was die rebellische und eher liberal orientierte Jugend an Enthusiasmus und Mut aufbrachte, scheint ihr an Organisiertheit und politischer Erfahrung zu fehlen. Was anfangs ihre Stärke ausmachte – ihre Impulsivität und ihr amorpher Charakter – schlägt im Zuge der Entwicklung gegen sie zurück. Über die tatsächlichen Weichenstellungen entscheiden die politisch Abgebrühten in den Hinterzimmern. Auch diese Revolution ist dabei, ihre Kinder zu fressen.
Die beiden Mächte, deren Einfluss demgegenüber relativ ungetrübt ist, sind das Militär sowie die Islamisten. Den Muslimbrüdern bietet der arabische Aufbruch eine Riesenchance. Es ist zwar nicht ihre Revolution, aber es ist, so hoffen sie jedenfalls, ihre Zeit.
Die Muslimbruderschaft – eine islamische CDU?
Die Muslimbruderschaft ist die einzige Organisation, die in all den Jahrzehnten der Unterdrückung einen Versammlungsraum hatte: Die Moschee. Ihre Mitgliedschaft wird auf mehr als 300.000 geschätzt, sie ist in jedem Wahldistrikt Ägyptens nicht nur vertreten, sondern oft auch verankert. Sie hat als einzige Organisation eine Vision und ein unbeflecktes, da bislang nicht erprobtes Programm. Ihre religiöse Sprache und ihre moralischen Codes finden bei großen Teilen der Bevölkerung hohe Resonanz.
In Deutschland wird über diese Muslimbruderschaft berichtet, als sei sie eine Art islamische CDU; ein bisschen Religion, hauptsächlich aber Politik zugunsten von Freiheit, Pluralität und Gerechtigkeit.
Ein solcher Vergleich geht aber völlig fehl. Die Kernbewegung der Muslimbruderschaft ist ersten fundamentalistisch und zweitens djihadistisch orientiert. Innenpolitische geht es darum, das angeblich göttliche Gesetz über das von Menschen gemachte zu stellen. Außenpolitisch geht es um die religiös definierte Verpflichtung, zumindest Israel zu beseitigen. Wer die Muslimbrüder an der Macht erleben will, muss in den Gaza-Streifen gucken: Die Hamas ist eine Unterorganisation der Muslimbruderschaft, und es gibt keinen Muslimbruder in Ägypten, der die Politik der Hamas nicht mit Stolz unterstützt.
Heute kommt den Muslimbrüdern ihr vorheriger Status als Ausgestoßene zugute. In der Illegalität erlernten sie die Kunst des Überlebens und des Kompromisses. Jahrzehnte des Wartens haben sie geduldig gemacht. Und sie wissen, welchen Alarm sie auslösen könnten, würden sie auch nur ein einziges Mal zu ungeduldig sein. Immerhin wurde die Islamistische Heilsfront in Algerien nach ihrem Wahlsieg Anfang des 90er Jahre von den Militärs aus dem Weg geräumt.
Die Scharia phasenweise einführen
Die Lehre, die die ägyptischen Islamisten daraus gezogen haben, ist klar: Keine übertriebenen Ansprüche stellen. Alle kontroversen Punkte ihres Religionsverständnisses herunterspielen. Nach allen Richtungen Beruhigungspillen verteilen. Nicht in der ersten Reihe stehen, sondern von hinten führen.
Mitte Juni 2011 veröffentlichten sie auf ihrer Website einen Artikel unter der Überschrift: „Lasst uns die Scharia phasenweise einführen“. Es gebe „keine Hoffnung auf Reform ohne eine Rückkehr zu jener göttlichen Herrschaft, die der Erschaffer für den Menschen ausgewählt hat“ schrieb dort Scheich Amad Gad, ein Veteran der Muslimbruderschaft.
Die säkularen Kräfte bezeichnete er als Feind Nummer eins: „Diese Minderheit … besteht aus denjenigen, die einen religösen Staat oder einen Kalifen-Staat ablehnen und eine Rückkehr zu dem tyrannischen säkularen Regime anstreben, das das Land und seine Leute korrumpiert hat.“
Wir müssen also davon ausgehen, dass sich Ägypten innerhalb der nächsten Monate nicht weniger, sondern mehr islamisieren wird. Den islamistischen Kräften geht es aber nicht um Kompromiss, sondern um Kampf und Sieg. Außenpolitisch wollen sie keinen Staat an der Seite, sondern einen Staat an der Stelle Israels.
Ich habe begründet, warum ich den Optimismus, den viele mit dem arabischen Frühling verbinden, nicht teilen kann. Gleichwohl halte ich es für positiv, dass der arabische Frühling mehr politischen Spielraum erkämpft hat und sich die Muslimbrüder nicht länger als einzige Oppositionsbewegung profilieren können.
Jean-Paul Sartre schrieb in seinen „Betrachtungen zur Judenfrage“, dass der Antisemit ein Mensch sei, „der Angst hat. Nicht vor den Juden, vor sich selbst, vor seiner Willensfreiheit, seinen Instinkten, seiner Verantwortung, vor der Einsamkeit und vor jedweder Veränderung.“
Man kann vielleicht hoffen, dass die revolutionären Ereignisse das Selbstbewusstsein und das Verantwortungsbewusstsein der Individuen stärken und damit die Nachfrage nach jüdischen Sündenböcken schwächen werden.
Von der deutschen Politik erwarte ich vor diesem Hintergrund vor allem dies: Erstens die uneingeschränkte Parteinahme für Israel gegenüber Kräften wie Erdogan, den Muslimbrüdern und Ahmadinejad. Zweitens ein Ende der Beschwichtigungen, was die Muslimbrüder und den Islamismus anbelangt und drittens die klare Parteinahme für liberale und säkulare Kräfte im arabischen Frühling.