Neuestes Buch:
Nazis und der Nahe Osten
Wie der islamische Antisemitismus entstand
Hamburg, den 2. April 2015
Ging Ihnen das auch so auf den Geist? Alle halbe Stunde wiederholte der Deutschlandfunk dieser Tage die frohe Botschaft vom baldigen Durchbruch der Atomgespräche in Lausanne – und dies selbst noch zu einem Zeitpunkt, als Teheran längst wieder „April April“ gerufen und den Optimismus der „Experten“ ad absurdum geführt hatte. Dann aber schaltete ich die Fernbedienung laut, denn es wurde Jürgen Chrobog interviewt .
Chrobog, Jahrgang 1940, leitete nicht nur Genschers Ministerbüro, sondern war auch Pressesprecher und Staatssekretär im Auswärtigen Amt sowie deutscher Botschafter in Washington. Er verkörpert wie nur wenige die deutsche auswärtige Politik, ohne sich als „Ehemaliger“ den Mund verbiegen zu müssen.
Da war es nicht besonders überraschend, dass er in dem Rundfunkgespräch kein Wort über den Vormarsch iranischer oder von Iran finanzierter Milizen in Syrien, Irak und Jemen oder über die iranische Atomwaffenpolitik verlor. Diese Form der Zurückhaltung sind wir von Frank-Walter Steinmeier gewohnt.
Es folgte dann aber eine Aussage, die der Außenminister nicht formulieren darf, obwohl, wie ich vermute, ein nicht geringer Teil des deutschen außenpolitischen Establishments sie teilt. Die Frage der DLF-Redakteurin Bettina Klein war harmlos, die spontan erfolgte Antwort war es nicht:
„Israel muss ja auch mit ins Boot geholt werden, wenn es zu einem solchen [Atom-] Abkommen käme. Wie kann das geschehen?“
„Israel will ja nicht ins Boot. Israel hat Angst, dort seinen Lieblingsfeind Iran zu verlieren.“
Lieblingsfeind Iran: Als ich das hörte, schoss mir eine Situation in den Kopf, deren Zeuge ich vor ein paar Monaten war. Damals sprach ebenfalls ein ehemaliger deutscher Botschafter zum Thema Iran – diesmal vor einem größeren Kreis von Außenpolitik-Experten in Berlin.
Als ein Teilnehmer die Frage nach der Rolle Israels stellte, folgte auch hier die Antwort des Redners wie aus der Pistole geschossen: Israel habe große Angst, durch die Atom-Einigung mit Iran einen Feind zu verlieren, denn es befürchte, dass dann der Palästinakonflikt wieder ins Rampenlicht rücke. Es folgte spontaner Applaus.
Offenkundig ist Jürgen Chrobog mit seiner Position kein Einzelfall. Nun muss einer auf die Idee, Israel habe Angst, seinen Lieblingsfeind zu verlieren, erst mal kommen. Was sagt ein solcher Einfall über dessen Urheber aus?
Da ist erstens ein erstaunliches Wahrnehmungsdefizit.
Chrobog und andere wollen die reale Bedrohung, die dem antisemitischen Regime von Ali Khamenei innewohnt, offenkundig nicht zur Kenntnis nehmen. Sie verweigern sich darüber hinaus der Einsicht, dass sich die revolutionäre iranische Außenpolitik mit der Beseitigung Israels nicht zufriedengibt, sondern erklärtermaßen alle liberal verfassten Staaten bedroht. Dass Atomwaffen in den Händen von religiösen Fanatikern, die der Märtyreridee huldigen, beispiellose Gefahren heraufbeschwört, wird vollständig ignoriert.
Wir haben es zweitens mit einem erstaunlichen Mangel an Empathie zu tun.
Der ehemalige deutsche Spitzendiplomat hat offenkundig Schwierigkeiten, zu begreifen, dass es die israelische Bevölkerung nicht schätzt, wenn mindestens einmal pro Woche die Vernichtung ihres Landes angekündigt und ihr die Totalzerstörung Tel Avivs durch iranische Trickfilme vor Augen geführt wird. Er will nicht verstehen, dass Jüdinnen und Juden aus guten Gründen und vielen leidvollen Erfahrungen die Atomaufrüstung eines solchen Regimes – und nicht dessen Verhinderung! – fürchten.
Nun leiden nicht nur ehemalige Spitzendiplomaten an derartigen Wahrnehmungs- und Einfühlungsverlusten. Wir erleben tagtäglich, dass der Bau einer einzigen jüdischen Siedlung im Westjordanland erheblich mehr öffentliche Empörung provoziert, als die Ankündigung, den gesamten Staat Israel auslöschen zu wollen.
Die letzten Tage boten erneut einen Beleg. Die Verhandlungen von Lausanne waren gerade angelaufen, da erklärte einer der höchsten Generäle in Teheran, dass „die Vernichtung Israels nicht verhandelbar“ sei, dass man also die Auslöschung des jüdischen Staates als ein quasi natürliches Recht betrachte.
Sollte man da nicht erwarten, dass diese Provokation zumindest von den fünf Vetomächten des Sicherheitsrats während ihrer tagelangen Gespräche mit dem iranischen Außenminister öffentlich zurückgewiesen wird? Dies geschah jedoch nicht. Den deutschen Medien war die Äußerung des iranischen Generals nicht einmal eine Meldung wert.
Als sich Israels Premierminister über das Schweigen der 5 plus 1 beschwerte , war es ausgerechnet Frank Walter Steinmeier, der sich diese Kritik schärfer als jeder andere Außenminister verbat.
Chrobog und dessen Freunde sehen aber nicht nur über die akute Bedrohung Israels hinweg. Sie gehen einen wesentlichen Schritt weiter. Sie geben sich überzeugt, dass Israel nicht die iranische nukleare Gefahr fürchtet, sondern den Wegfall dieser Gefahr.
Warum? Weil die israelische Führung ohne einen gefährlich erscheinenden Iran der Weltöffentlichkeit nicht länger etwas vormachen könne, weil sie ohne dieses „Ablenkungsmanöver“ befürchten müsse, selbst am Pranger zu stehen.
Es gibt aber für die Behauptung, Israel fürchte einen friedfertigen Iran, nur eine einzige Quelle: Ungezügeltes Ressentiment.
Natürlich blitzen hier auch bekannte antisemitische Motive auf. So zum Beispiel das Bild vom Juden, der Spannungen und Feindbilder braucht, weil er den Frieden hasst; ein Bild, das wir von den „Protokollen der Weisen von Zion“ und der Hamas-Charta kennen.
Oder das Bild von den Juden, die sich vor der Welt als potentielle Opfer gerieren, um mithilfe dieses Tricks von eigenen Machenschaften abzulenken. Wir kennen es in der Version vom Juden als dem heimlichen Nutznießer des Holocaust.
Heute stellt der ehemalige deutsche Botschafter in Washington die Juden als die Nutznießer des iranischen Antisemitismus hin: „Israel hat Angst, seinen Lieblingsfeind Iran zu verlieren.“
Könnte es vielleicht sein, dass die emotionale Infrastruktur, die sich hinter Chrobogs „Ausrutscher“ offenbart, bis heute verhindert, dass die objektive Gefahr der iranischen Atompolitik dem einen oder anderen Repräsentanten deutscher Politik ins Bewußtsein dringt?