Neuestes Buch:
Nazis und der Nahe Osten
Wie der islamische Antisemitismus entstand
Die Bundesregierung vor dem Richtungsentscheid
Wall Street Journal, 15. Mai 2008
Als ich kürzlich im Terminkalender des renommierten Nah-und Mittelost-Vereins (Ehrenvorsitz: Gerhard Schröder) blätterte, fand ich unter dem Datum 16. April 2008 den Eintrag: „Treffen mit dem iranischen Vizeaußenminister S.E. Mehdi Safari in Berlin“. In den deutschen Medien war kein Wort darüber zu finden. Aus den iranischen Online-Publikationen erfuhr ich mehr: Demnach war Safari auf Einladung der Bundesregierung drei Tage lang in Berlin. Er konferierte mit den Staatssekretären des Außen-, des Innen- und des Wirtschaftsministeriums sowie mit Abgeordneten (darunter den ehemaligen grünen Regierungsvertretern Kerstin Müller und Jürgen Trittin) sowie mit Industriellen.
Es ist bemerkenswert, dass weder die Bundesregierung noch die Medien über diesen Besuch auch nur ein Wörtchen verloren. Deutschland gehört mit den fünf Veto-Mächten des UN-Sicherheitsrats zu der Sechs-Mächte-Gruppe, die den Kurs der internationalen Iran-Diplomatie bestimmt. Teherans Atompolitik ist der einzige Bereich, in dem jeder Schritt der deutschen Außenpolitik weltpolitische Folgen nach sich ziehen kann. Mehdi Safari ist auf der anderen Seite kein untergeordneter Beamter eines friedvollen Zwergstaats, sondern Regierungsmitglied eines Landes, dass in Zukunft zur Auslösung eines Atomkriegs in der Lage sein dürfte. Sein Besuch hätte in Deutschland größtes öffentliches Interesse verdient.
Ein weiterer Punkt macht dieses Schweigen zusätzlich brisant: Die deutsche Iranpolitik ist derzeit gespalten wie noch nie. Während sich die Bundeskanzlerin dafür einsetzt, den Iran notfalls mit schärferen Sanktionen vom Bau der Bombe abzuhalten, plädiert die außenpolitische Elite einschließlich des wichtigsten Beraters von Außenminister Steinmeier für eine „strategische Partnerschaft“ mit dem Iran.
Im März 2008 erklärte die Bundeskanzlerin in ihrer als historisch bezeichneten Rede vor dem israelischen Parlament, „Iran mit weiteren und schärferen Sanktionen zum Stopp seines Nuklearprogramms bewegen“ zu wollen. Sie selbst wies auf die grundsätzliche Bedeutung dieser Zusage hin: Schreckten wir Europäer, so die Kanzlerin, vor scharfen Sanktionen zurück, „hätten wir weder unsere historische Verantwortung verstanden noch ein Bewusstsein für die Herausforderungen unserer Zeit entwickelt.“ Die Entschiedenheit dieser Aussage wurde in Israel und den USA begrüßt.
Nicht so in Deutschland selbst.
„Sanktionen bringen nichts!“, konterte im April 2008 Christoph Bertram im Wochenmagazin Der Spiegel. “Kanzlerin Angela Merkel sollte sich nicht hinter jede Katastrophenwarnung Israels stellen.” Bertrams Stimme hat Gewicht. Er leitete das International Institute for Strategic Studies (IISS) in London und später die deutsche Stiftung Wissenschaft und Politik, ein Think Tank, der die Bundesregierung und den Bundestag in außenpolitischen Fragen federführend berät. Deutschland müsse, so Bertram, “die immensen Vorteile eines engen und gemeinschaftlichen Verhältnisses mit Iran” erkennen. “Wenn Russland, China oder Saudi-Arabien “strategische Partner“ sein können, warum dann nicht auch der Iran?“ Bertrams Buch mit dem programmatischen Titel Partner, nicht Gegner. Für eine neue Iranpolitik wurde im Mai 2008 ausgeliefert. Es wird die Position von Volker Perthes, dem gegenwärtige Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik stärken. Als einer der wichtigsten Berater von Außenminister Steinmeier setzt sich Perthes seit mehr als zwei Jahren für eine deutsche „strategische Partnerschaft“ mit ausgerechnet dem Regime ein, das den Holocaust leugnet, den internationalen Terror befördert und die eigene Bevölkerung unterdrückt.
Die Ratio des „Partner, nicht Gegner“- Ansatzes, auf den deutsche Außenpolitik derzeit hinauszulaufen scheint, liegt auf der Hand. Dr. Kinan Jaeger, ein Dozent der Universität in Bonn, hat sie in einem öffentlich finanzierten Informationsdienst für Sicherheitspolitik, formuliert: „Wer in der Lage ist, den Iran auf seine Seite zu ziehen“, heißt es hier, „hätte nicht nur energielogistisch ,ausgesorgt’, sondern könnte auch den USA gegenüber in anderer Weise auftreten.“ Der Iran aber würde durch die „Erlangung der Atombombe … zur Hegemonialmacht am Golf aufsteigen und wäre in der Lage, den USA in der Golf-Region auf ,ähnlicher Augenhöhe’ entgegenzutreten.“ (Der Mittler-Brief, 22. Jg., Nr. 3/3. Quartal 2007, S. 7)
In geschäftlicher Beziehung ist es um die Partnerschaft Teheran – Berlin – allen erschwerenden Rahmenbedingungen zum Trotz – nicht schlecht bestellt. Nachdem die Geschäftsbeziehungen zwischen 2005 und 2007 zurückgegangen waren, stiegen die deutschen Exporte in den Iran im Januar 2008 im Vergleich zum Vorjahr wieder um 13 Prozent. (Siehe Wirtschaftsinformation Iran Nr. 288 vom 8.4.2008 der Deutsch-Iranischen Industrie- und Handelskammer – http://iran.ahk.de )
Zwar ist der iranischen Anteil am Gesamtbetrag der deutschen Exporte mit etwa 0,4 Prozent marginal. Doch hängt Irans Entwicklung von diesen 0,4 Prozent maßgeblich ab. So ist Deutschland , wie die regierungseigene Bundesagentur für Außenwirtschaft im September 2007 in ihrer Broschüre Wachstumsmärkte im Nahen und Mittleren Osten festhält, in fast allen Maschinenbau-Bereichen das Lieferland Nummer 1. Dies gilt für iranische Bergbaumaschinen, die zu 42 Prozent aus Deutschland kommen, ferner für Druck – und Papiermaschinen (deutscher Anteil: 34 Prozent), für Fördertechnik-Maschinen (36 Prozent), für Kunststoffmaschinen (36 Prozent), für Nahrungsmittelmaschinen (31 Prozent) und für Textilmaschinen (42 Prozent). Es gibt nur zwei Bereiche des Maschinenbaus, in denen nicht die Bundesrepublik, sondern Italien dominiert: Die Kraftwerkstechnik (Powersystems) und die Baustoffindustrie.
Deshalb sind, wie die Deutsch-Iranischen Industrie- und Handelskammer im Dezember 2007 schrieb, derzeit „75 Prozent aller kleinen und mittelständischen Betriebe im Iran mit deutscher Technologie ausgestattet.“ Daraus folgt, dass „die Iraner durchaus auf deutsche Ersatzteile und Zulieferer angewiesen sind“, wie Michael Tockuss, der ehemalige Geschäftsführer jener Handelskammer der Zeitschrift Focus gegenüber erklärte. Angewiesen heißt: Ein deutsch-italienisches Wirtschaftsembargo reichte aus, um die iranische Ökonomie innerhalb von drei oder vier Monaten zu paralysieren und die theokratische Elite mit der Frage zu konfrontieren, ob die Einhaltung der Beschlüsse des UN-Sicherheitsrats nicht doch die bessere Alternative ist.
Die Bundesregierung muss entscheiden, wie sie diese wirtschaftliche Sonderbeziehung zu nutzen gedenkt. Sie kann entweder der Kanzlerin folgen, die Israels Verteidigung zur deutschen Sache zu machen und das ökonomische deutsche Gewicht im Iran in diesem Sinn zu nutzen verspricht. Oder sie baut den deutschen Einfluss zur „strategischen Partnerschaft“ aus: Dies aber bedeutet, die iranische Nuklearoption zu akzeptieren und die damit verbundene Existenzbedrohung Israels – sowie den Terror des Regimes gegen die eigene Bevölkerung und den Rest der Welt – in Kauf zu nehmen.
Berlin steht vor einem Richtungsentscheid. Zwischen Merkels Versprechen und dem geopolitischen Ansatz ihrer Kontrahenten liegt eine unüberbrückbare Kluft. Während die Befürworter harter Sanktionen das Bündnis mit dem Westen suchen, um dem Terror des Islamismus entgegenzutreten, läuft der „Partner“-Vorschlag auf ein strategische Bündnis mit dem Islamismus und auf die Verschlechterung der Beziehungen zu Israel und den USA hinaus. Während Frau Merkel die deutsche historische Verantwortung betont, die eine „besondere historische Verantwortung für Israel einschließt“, wird bei Bertram und Perthes der Topos der „deutschen Verantwortung“ neu definiert: losgelöst vom Schatten der Geschichte, ohne Rück-Sicht und somit rücksichtslos gegenüber denen, die den Verbrechen der Nazizeit entkommen sind.
Vor dem Hintergrund dieser ungeklärten Gemengelage kam der iranische Vize-Außenministers Mehdi Safari vom 16. bis 18. April 2008 nach Berlin. Safari „ bezeichnete das Ergebnis seines Drei-Tage-Besuchs in Deutschland als ,positiv’ ” berichtet die iranische Presseagentur PressTV, “und fügte hinzu, das man sich in Gesprächen mit deutschen Stellen über eine Vielzahl von Themen ausgetauscht habe, darunter die bilaterale und regionale Zusammenarbeit mit Blick auf Afghanistan, Irak, Palästina und den Libanon. Die Frage “der weiteren und schärferen Sanktionen“ (A. Merkel) scheinen bei diesen Unterredungen keine Rolle gespielt zu haben. „Beide Seiten diskutierten über Möglichkeiten”, heißt es stattdessen bei PressTV, “die wirtschaftliche Zusammenarbeit auszubauen und vereinbarten, dass eine deutsche Wirtschaftsdelegation in Kürze (den Iran) besucht, um die bereits unterzeichneten Abkommen zwischen Teheran und Berlin weiter zu verfolgen.“ (www.presstv.ir, April 19, 2008)
Das Auswärtige Amt hat inzwischen bestätigt, die Gespräche mit Safari geführt zu haben; es lehnte eine Kommentierung der im Iran verbreiteten Berichte jedoch ab. Haben Teheran und Berlin jene Vereinbarungen unterzeichnet? Reisen deutsche Wirtschaftsexperten ausgerechnet jetzt in den Iran? Die Bundeskanzlerin hatte vor der Knesset gut gesprochen. Jetzt sollte Frau Merkel die Iran-Politik ihrer Regierung dort erklären und klären, wo über sie zu entscheiden wäre: im Bundestag.
The Wall Street Journal veröffentlichte diesen Beitrag am 15. Mai 2008 leicht gekürzt unter dem Titel „The Tehran-Berlin Axis“.