Joschkas Schatten

Die Heinrich-Böll-Stiftung übergeht den 10. Jahrestag ihrer Iran-Konferenz

Von Matthias Küntzel

Perlentaucher.de, Berlin den 12. April 2010

Vor genau zehn Jahren – vom 7. bis 9. April 2000 – veranstaltete die Heinrich-Böll-Stiftung eine Konferenz mit dem Titel “Iran nach den Parlamentswahlen. Die Reformdynamik in der Islamischen Republik”. Als “Berliner Konferenz” hat sie Geschichte gemacht, allerdings anders, als von den Veranstaltern geplant: Am 8. April ließ die Stiftung den vollbesetzten Saal nach tumultartigen Szenen gewaltsam räumen. Eine Woche später wurden die Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus Iran vor das Teheraner Revolutionsgericht gezerrt und zu horrenden Strafen verurteilt. Leider zog es die Böll-Stiftung vor, den Jahrestag dieser Ereignisse zu übergehen. Damit wurde eine Chance für selbstkritische Reflexion vertan, sind doch die Turbulenzen jener Tage mit den gegenwärtigen Herausforderungen im deutsch-iranischen Verhältnis vielfältig verknüpft.

Die Konferenzidee

Im Mai 1997 hatten die Iranerinnen und Iraner mit Mohammed Khatami erstmals einen Repräsentanten des Reformlagers zum Präsidenten gewählt. Ein gutes Jahr später, im Oktober 1998, kam hierzulande die von Gerhard Schröder und Joschka Fischer geführte Reformregierung an die Macht. Die rot-grüne Iranpolitik verfolgte das erklärte Ziel, das Reformlager um Präsident Khatami gegen die Fraktion der Hardliner um den damaligen und heutigen Revolutionsführer Khamenei zu stärken. Also wurde, was als “kritischer Dialog” im April 1997 aufgrund der Mykonos-Morde gescheitert war, mit frischem Elan und unter der neuen Bezeichnung “konstruktiver Dialog” auf den Weg gebracht.

Schon nach dem ersten Regierungsjahr zog die “Deutsch-Iranische Industrie- und Handelskammer” in Teheran eine positive Bilanz: “Das deutsche Interesse an lebendigen deutsch-iranischen Beziehungen sowohl im Bereich von Handel wie auch im Bereich der Investitionen wurde durch den Aufenthalt mehrerer Wirtschaftsdelegationen aus Deutschland in Iran … unmissverständlich belegt. (1) Im März 2000 reiste mit Joschka Fischer erstmals seit 1991 ein deutscher Außenminister mit dem üblichen Tross von Wirtschaftsvertretern in den Iran.

Die rot-grüne Koalition blieb beim “business as usual” jedoch nicht stehen. Bundeskanzler Gerhard Schröder übermittelte als erster Regierungschef der westlichen Welt dem iranischen Präsidenten die Bitte, die deutsche Hauptstadt mit seinem Besuch zu beehren. Sein grüner Bündnispartner ging noch einen Schritt weiter: Unterstützt vom Auswärtigen Amt lud die den Grünen nahestehende Böll-Stiftung siebzehn “Persönlichkeiten aus Politik, Wissenschaft, Religion und Medien” aus Iran zu einer Irankonferenz nach Berlin ein. Die Hälfte von ihnen gehörte dem reform-islamistischen Lager um Khatami an, während es sich bei den anderen um säkulare Reformer aus Iran handelte.

Das Ziel dieser Tagung war hoch gesteckt: Die Böll-Stiftung wollte nach eigener Darstellung mit der Zusammenführung der Reformkräfte aus zwei verschiedenen Lagern die “zentrale Voraussetzung für eine erfolgreiche und gewaltfreie Fortsetzung des Reformprozesses” schaffen. “Ziel” müsse “die Garantie der Menschenrechte” und “die Gewährleistung grundlegender demokratischer Freiheiten … sein.” (2) Da es aber um Veränderungen innerhalb des islamischen Systems gehen sollte, wurden iranische Exilorganisationen, die auf regime change drängten, weder an der Vorbereitung beteiligt noch als Sprecher hinzugezogen.

Auch deshalb wurde das Unterfangen schon im Vorfeld von Menschenrechtsorganisationen, Exilvereinigungen und iranischen Intellektuellen wie dem Schriftsteller Faraj Sarkuhi kritisiert. “Die Islamische Republik Iran”, schrieb Sarkuhi in einem offenen Brief, hat das iranische Volk in ‘Insider’ und ‘Outsider’ des Regimes… unterteilt, je nachdem ob sie die islamische Verfassung vollständig anerkennen oder kritisieren und reformieren wollen. Die Regierung versucht, die zweite Gruppe von allen kulturellen und politischen Gebieten auszuschließen. Bei der Konferenz ‘Iran nach den Wahlen’ sind ebenfalls zahlreiche Gruppierungen und Vertreter bedeutsamer kultureller und politischer Strömungen Irans ausgeschlossen worden… Die Nachahmung der Ausschlussstrategie der Islamischen Republik läßt sich mit dem sehr positiven Bild, das ich mit der Heinrich-Böll-Stiftung verbinde, nicht vereinbaren.” (3)

Gleichzeitig warf man den Grünen vor, die Intentionen Khatamis zu idealisieren und dessen tatsächliche Rolle im Mullahregime zu ignorieren. “Mit einer 20-jährigen blutigen Vergangenheit kann man nicht ohne weiteres an einem Tisch sitzen und ein freundliches Gespräch führen”, betonte zum Beispiel Azer Drehjan vom “Iranischen Frauenverband 8. März”. “Als die Grünen noch in der Opposition waren, kritisierten sie die Islamische Republik Iran scharf. Doch jetzt versuchen sie, die Europavertretung Khatamis zu übernehmen”, sagte sie. “Wir sehen diese Haltung als Verrat an.” (4)

Die Eskalation

Als die Konferenz am zweiten Aprilwochenende 2000 begann, hagelte es Proteste, waren doch im Saal auch “diejenigen versammelt, die ihr Land verlassen mussten”, erinnert sich die deutsch-persische Publizistin Nasrin Amirsedghi, während “auf dem Podium einige Teilnehmer/innen (saßen), die sich zumindest im Großen und Ganzen konform mit demjenigen Regime zeigten, das über drei Millionen Iraner/innen zur Flucht aus ihrer Heimat veranlasst hatte.” (5)

Nachdem man die Rednerinnen und Redner immerhin hatte sprechen lassen, eskalierte in einer Diskussionsrunde die Situation. Maßgeblichen Anteil hatte eine Performance der Künstlerin Parvaneh Hamidi, die sich im Konferenzsaal ein Kopftuch anlegte und gleichzeitig bis auf den Bikini auszog: Eine symbolische Aktion, die direkt auf das Zentrum der islamistischen Ideologie, die gewaltsame Zurichtung der Frau, zielte und “damit den blinden Fleck des Geredes über Reformen entschleierte”, wie Fathiyeh Naghibzadeh später schrieb; eine Aktion, die bei den Islamisten Empörung und bei vielen iranischen Oppositionellen Verwirrung auslöste. (6) Als sich anschließend auch noch ein Mann seiner Hose entledigte, um seine Folterspuren zu zeigen, gab es kein Halten mehr: Ordner stürmten vor und räumten den Saal. Am Folgetag fand der “Dialog” nur noch vor handverlesenem Publikum statt. Die eigentliche Eskalation aber stand noch bevor: Die Rückreise der Iranerinnen und Iraner sollte von einer grünen Spielwiese direkt in die Hölle führen.

Sie wurden bei ihrer Ankunft unter dem Vorwand, Allah bekämpft und die Sicherheit Irans gefährdet zu haben, festgenommen und vor das Revolutionsgericht beziehungsweise ein Sondergericht für Geistliche gezerrt. Das iranische Fernsehen zeigte Filmausschnitte von den Tumulten der Konferenz und nutzte die damit geschürte Empörung, um acht Tageszeitungen und drei Wochenzeitungen zu verbieten, die den Reformern nahe standen. Zusätzlich mobilisierten die Konservativen Zehntausende ihrer Anhänger, um gegen die “Söldner-Schreiber” der Reformer auf die Straßen zu gehen.

Revolutionsführer Ali Khamenei hatte der Welt bewiesen, dass der gewählte Reformpräsident Khatami, der den Mitgliedern der Berliner Konferenz die Ausreisegenehmigungen erteilt hatte, nichts zu melden hat. Khatami aber tat eben das, was das islamische System von ihm erwartete: Er nahm den Angriff auf sich und sein Lager widerspruchslos hin. Eingebunden in das khomeinistische Prinzip der Herrschaft des Revolutionsführers erkannte er dessen Entscheidung als rechtmäßig an und enttäuschte damit seine Wählerschaft.

Die iranischen „Reformer“

Zwar trifft es zu, dass Khatami und seine Anhänger den Koran liberaler auslegen und den Islam moderner interpretieren als die Hardliner. Über die islamische Verfassung aber gab und gibt es zwischen Reformern und Hardlinern keinen Widerspruch: Beide Flügel waren und sind sich darin einig, dass alle Politik dem Willen Allahs, das heißt der Herrschaft des Revolutionsführers, unterzuordnen sei. Für beide Flügel war und ist das Scharia-Recht sakrosankt, das Khatami in den Achtzigerjahren als “Minister für Kultur und Islamische Führung” durchzusetzen half.

Für die Reformer steht somit nicht das “Was” − die Verfassung und die Zielsetzung der khomeinistischen Revolution − zur Disposition, sondern das “Wie” – die Frage, wie man jene Ziele besser erreichen kann. Während die Konservativen Gleichschaltung und Tyrannei zu perfektionieren suchen, wollen die Reformer die Bevölkerung an der Gestaltung des islamistischen Gemeinwesens beteiligen. Dies macht sie für Teile der iranischen Gesellschaft zu Hoffnungsträgern, während die Konservativen schon deshalb in ihnen Verräter sehen. Khatamis Politik war insofern konsequent: Er baute Spielräume innerhalb der Verfassung aus und ordnete sich sofort unter, als der Revolutionsführer seine durch die Verfassung geschützte Allmacht ausspielte. Die Politik von Moussavi und Karrubi, die Hoffnungsträger der “grünen Bewegung”, ist demgegenüber inkonsequent: Sie verteidigen die islamische Verfassung, lehnen den Kotau gegenüber dem Revolutionsführer – das A & O jener Verfassung! – aber ab. Es ist dieser mutige und rebellische Akt, der sie von Khatami unterscheidet.

Wenige Wochen nach den dramatischen Ereignissen des April 2000 besuchte Präsident Khatami auf Einladung der Bundesregierung Berlin. Während iranische Schergen Teilnehmer der Berliner Konferenz im Evin-Gefängnis festhielten, nahm Khatamis Besuch im Juli 2000 einen sonnigen Verlauf. Innenminister Otto Schily hatte für seine reibungslose Durchführung gesorgt und in der Nacht vor Khatamis Eintreffen “vorsorglich 54 iranische Oppositionelle, angeblich potenzielle Rädelsführer bei den angekündigten Demonstrationen, festgenommen.” Zusätzlich “fingen Polizei und Bundesgrenzschutz nach Angaben aus Oppositionskreisen rund 7 000 Regimegegner bereits an den Grenzen und auf den Zufahrtsstraßen ab.” (7)

Präsident Khatami absolvierte gut gelaunt sein Besuchsprogramm und auch Bundeskanzler Schröder zeigte sich rundum zufrieden. Er hatte schon am ersten Tag des Staatsbesuchs die Hermes-Bürgschaften für Irangeschäfte von 200 Millionen DM auf 1 Milliarde DM aufgestockt. (8) Dass sich Reformkräfte in Kerkern befanden, weil sie einer Einladung des grünen Koalitionspartners gefolgt waren, spielte keine erkennbare Rolle. Im Gegenteil: Als der CDU-Abgeordnete Leo Dautzenberg am 5. Juli 2000 die Bundesregierung fragte, was sie zu der Einladung Khatamis bewogen habe, obwohl “Menschenrechtsverletzungen und Diskriminierung von Frauen weiter stattfinden” antwortete Ludger Volmer, der grüne Staatsminister im Auswärtigen Amt: “Deutschland hat ein Eigeninteresse, mit dem Iran in allen Bereichen konstruktiv zusammenzuarbeiten.” Khatamis Wahlprogramm habe “eine substanzielle Verbesserung der Menschenrechtslage im Iran” vorgesehen. Die Regierung Khatami “hat sich auf diesem Gebiet konsequent bemüht und kann trotz zeitweiliger Rückschläge Erfolge vorweisen.” (9)

Die Katastrophe

Und doch war die Affäre um die Böll-Konferenz weder vergessen noch vorbei. Auf Khatamis Berlin-Besuch folgte der Schauprozess. Im Januar 2001 verurteilte das Gericht zehn der 17 Angeklagten zu schockierend hohen Strafen. So erhielt der Journalist Akbar Gandji zehn Jahre Haft plus anschließender fünfjähriger Verbannung. Said Sadr, ein Dolmetscher der Deutschen Botschaft in Teheran wurde zu zehn Jahren und der Übersetzer Khalil Rostamkhani zu neun Jahren Haft verurteilt. Studentenführer Ali Afschari wurde zu fünf und der 75-jährige ehemalige Abgeordnete Ezzatollah Sahabi zu viereinhalb Jahren Gefängnis verurteilt. Die Anwältin und Frauenrechtlerin Mehrangiz Kar und die Verlegerin Shala Lahiji erhielten je vier Jahre Haft. Der Geistliche Yousefi Eshkevanri wurde vor das Sondergericht für Geistliche gezerrt und in geheimer Verhandlung wegen seiner Teilnahme in Berlin anfangs zu Tode, später zu viereinhalb Jahre Haft verurteilt, während die Strafen für Kazem Kardavani, ein Vorstandsmitglied des iranischen Schriftstellerverbands und für Tschangiz Pahlavan, ein Kultursoziologe, ausgesetzt wurden, da sie in Deutschland geblieben waren.

Auf meine Frage, was die Böll-Stiftung getan habe, um jenen Verurteilten zu helfen, erklärte mir Bernd Asbach, der das Referat “Naher und Mittlerer Osten” der Stiftung leitet: “Wir konnten wenig bis nichts tun.” Ein Brief des Stiftungsvorsitzenden Ralf Fücks an die iranischen Justizbehörden blieb unbeantwortet. Die Beschneidung der bilateralen Zusammenarbeit in den Bereichen Politik, Wirtschaft und Kultur stand nicht zur Diskussion. Das Auswärtige Amt bestellte zwar den iranischen Botschafter ein, um ihm die “tiefe Besorgnis” der Bundesregierung zu übermitteln, doch hielt sich Außenminister Fischer “mit öffentlicher Kritik an den Urteilen zurück, um den seit dem vergangenen Jahr verbesserten Beziehungen zu Iran nicht zu schaden.” (10) Diese, so Bernd Asbach, “sehr zurückhaltende” Politik Joschka Fischers habe die Böll-Stiftung zwar niemals öffentlich, wohl aber intern kritisiert.

Mehr noch: Das rot-grüne Regierungsbündnis legte Bundestagspräsident Wolfgang Thierse nahe, auf seine für Februar 2001 angesetzte Reise nach Iran nicht zu verzichten. In Teheran angekommen, äußerte sich Thierse über die Terrorurteile “zurückhaltend”. Mit umso mehr Verve kündigte er die Intensivierung der “politischen und wirtschaftlichen Kontakte mit Iran” an. Er werde sich insbesondere “dafür einsetzen, dass noch in diesem Jahr ein neues deutsch-iranisches Kulturabkommen geschlossen werde.” (11)

Unterdessen erlebte Akbar Gandji, der prominenteste Teilnehmer der Berliner Konferenz, die Folgen eines Kulturaustauschs am eigenen Leib. Zwar wurde seine Haftstrafe in einem Revisionsverfahren auf sechs Jahre reduziert. Doch wurde er im Gefängnis trotz Krankheit isoliert und schwer gefoltert. Am 16. März 2006 lieferte ihn das Regime in seiner Wohnung ab. “Sechs Jahre Gefangenschaft, Einzelhaft, Qual und Folter haben seinen Körper ruiniert”, berichtet Baham Nirumand. “Der 48-jährige, abgemagert bis auf die Knochen, mit zerzaustem, schütterem Haar und langem weißen Bart sah wie ein 70-jähriger aus.” (12)

Was ist aus den übrigen Verhafteten geworden? Am 7. April 2010 bekannte Bernd Asbach, darüber nicht informiert zu sein: “Man weiß nicht, was aus ihnen geworden ist. Es gibt keine direkten Kontakte.” Einer Recherche von Nasrin Amirsedghi und anderen zufolge dürften alle Festgenommenen wieder auf freiem Fuße sein: Sadr, Rostamkhani und Kardavani arbeiten und leben in der Bundesrepublik, Eshkevari wurde 2005 aus der Haft entlassen und hält sich in der EU auf, Afshari und Kar leben in den USA, Sahabi und Lahiji blieben in Iran, Pahlavan kehrte inzwischen ebenfalls nach Iran zurück.

Das Debakel der Grünen

Die Frage nach der politischen Verantwortung der Grünen und der Böll-Stiftung allerdings bleibt. Exilierte iranische Intellektuelle, darunter Faraj Sarkuhi und Nasrin Amirsedghi, hatten die Stiftung explizit vor dem, was dann kam, gewarnt. “Jeder, der ein wenig mit der Komplexität der iranischen Gesellschaft vertraut ist”, so Sarkuhi am 4. April 2000 in seinem offenen Brief, “kann erkennen, dass der staatliche und politische Anstrich dieser Konferenz … von den Fundamentalisten später zu propagandistischen Zwecken gegen religiöse Reformer und unabhängige Intellektuelle und Schriftsteller/innen missbraucht werden kann.” (13) Die grüne Stiftung ignorierte diese Stimmen und brachte mit ihrem Versuch einer direkten Einflussnahme das Leben der iranischen Gäste in Gefahr. Man konnte ihnen bis zu diesem Zeitpunkt noch zu gute halten, sich über Präsident Khatami falsche Hoffnungen gemacht und deshalb fahrlässig gehandelt zu haben.

Dann aber trat der Worst Case ein: Nach der brutalen Inhaftierung der Konferenzteilnehmer und dem Schweigen Khatamis hatten sich die Illusionen in seine Person zerschlagen. Doch trotz der drakonischen Gefängnisstrafen gegen Intellektuelle, die auf Initiative der Grünen eingeladen worden waren, trotz der Sanktionen gegen iranische Medien machten die Grünen dem ehemaligen Hoffnungsträger und Repräsentanten des Regimes bei dessen Berlinbesuch den Hof.

Anschließend hatte selbst der Vollzug der Terrorurteile keine ernst zu nehmenden Proteste, sondern lediglich die Zusage neuer “Kulturabkommen” zur Folge. So trug der grüne Regierungspartner dazu bei, die Offensive des konservativen Flügels in Iran nicht zu bestrafen, sondern durch Intensivierung der deutsch-iranischen Beziehungen zu belohnen. Dass dies kein Ausrutscher grüner Politik und auch keine Zugeständnis an den stärkeren Koalitionspartner war, zeigte sich am 16. Februar 2005.

An diesem Tag beglückwünschte der grüne Außenminister das Regime zur Eröffnung seiner neuen Botschaft in Berlin. Allein die Tatsache, dass es Fischer für angemessen hielt, vorbeizuschauen, um die Machthaber in Iran “zu diesem modernen und beeindruckenden, sehr transparenten Bau [zu] beglückwünschen”, ist bemerkenswert. Er rühmte in seiner Ansprache “das traditionell große Interesse” der Deutschen an Iran und lobte die Intensität der bilateralen Beziehungen: “Deutschland gehört heute zu den wichtigsten Handelspartnern des Iran… Auch im kulturellen Bereich ist unser Austausch seit Langem eng und intensiv.” Doch sei das Potenzial “bei Weitem noch nicht ausgeschöpft. In fast allen Bereichen unserer Beziehungen bieten sich zahlreiche Möglichkeiten an, diese noch intensiver zu gestalten und die Kontakte zu vertiefen.” (14)

Warum dieses emphatische Drängen zur Zusammenarbeit mit einem Regime, das bei seiner letzten Parlamentswahl im Februar 2004 2 000 Kandidaten – darunter achtzig bisherige Parlamentarier – ausgeschlossen hatte, um die Übermacht der konservativen Hardliner und den späteren Sieg Ahmadinejads sicherzustellen −, ein Regime, das einen Akbar Gandji, nur weil er an einer Konferenz der Grünen teilgenommen hatte, zum Zeitpunkt dieser Rede immer noch folterte und gefangen hielt?

Vielleicht hängt die Antwort mit jener Grundsolidarität zusammen, der Fischer schon 1979 in einem Pflasterstrand-Artikel Ausdruck verlieh. “Die persische Revolution (trifft) ins Herz des westlichen Fortschrittsglaubens”, erklärte der spätere deutsche Außenminister im Februar 1979 seinen Genossen in der Szenezeitung und bekundete für jene “offene Ablehnung und Zurückweisung des alleinseligmachenden technischen Fortschritts” Sympathie. Frankfurter Spontis und Teheraner Mullahs zögen an einem Strang: “In Persien versuchen sich die Leute einer Entwicklung zu entziehen, an deren Anfang sie stehen; wir dagegen versuchen dasselbe vom Höhepunkt dieser Entwicklung aus.” Wir versuchen dasselbe – mit diesem diffusen “Wir-Gefühl” stand Fischer seinerzeit gewiss nicht allein. Gleichzeitig zeichnete sich seine Solidarität mit den Mullahs schon damals durch ein erstaunliches Maß an Gleichgültigkeit gegenüber deren Verbrechen aus. Dass Khomeini “Tausende unbewaffnet in das Feuer der Maschinengewehre” laufen ließ, hatte Fischer 1979 nicht angewidert, sondern fasziniert. (15)

Schlimmer als die frühen Fehleinschätzungen ist allerdings die mangelnde Bereitsschaft, sich damit auseinanderzusetzen. Wer einen selbstkritischen Hinweis in den Memoiren von Joschka Fischer oder Ludger Vollmer sucht, greift ins Leere: beide Bücher klammern die grüne Iranpolitik aus. (16)

Warum werden die offenkundigen Fehler dieser Politik nicht rückblickend thematisiert und auch die Chance, die der zehnte Jahrestag der „Berliner Konferenz“ hierfür böte, verschenkt? Bis heute scheint diese Konferenz wie ein Trauma zu wirken, wie eine Wunde also, die so schmerzhaft ist, dass man den angemessen Umgang damit scheut. Bis heute werden „exiliranische Provokateure“ als Sündenböcke vorgeschoben, die die spätere Verfolgung der iranischen Referenten erst ermöglicht hätten. Bis heute wird auf die hochpolitische Verkleidungsperformance, die Parveneh Hamidi am 8. April 2000 zelebrierte, kaum anders als beleidigt reagiert.

Heute ist es aber eine millionenstarke iranische Jugendbewegung, die auf die Art Parveneh Hamidis zu tanzen begehrt. Wäre es nicht an der Zeit, sich von Fischers Außenpolitik abzukoppeln, die anzuzweifeln auch heute noch wie ein Tabubruch erscheint? Wer mit der neuen Generation der Iranerinnen und Iraner, die das gegenwärtige iranische Exil bestimmen, in Kontakt kommen will, hat ohnehin keine andere Chance.

(1) Deutsch-Iranischer Wirtschaftsspiegel Nr. 16, Dezember 1999, S. 5.
(2) Presseerklärung der Heinrich-Böll-Stiftung vom 6. April 2000.
(3) Faraj Sarkuhi, Open Letter an die Heinrich-Böll-Stiftung & Medien vom 4. April 2000.
(4) Rusen Can, Islamisten am Gesprächstisch, in: Sozialistische Zeitung, 11. Mai 2000, S. 13.
(5) Nasrin Amirsedghi, Die Berliner Konferenz als Chronologie eines politischen Karnevals mit fatalen Folgen, (nicht veröffentlichter) Leserbrief an die Zeit vom 18. März 2001.
(6) Fathiyeh Naghibzadeh, Freiheit ist keine Metapher, in: Jungle World, 26/2009.
(7) Norbert Siegmund, Der Mykonos-Prozess, Münster 2001, S. 336.
(8) Silke Mertins, Der harmlose Ayatollah, in: Financial Times Deutschland, 12. Juli 2000.
(9) Deutscher Bundestag, Protokoll 14/113, S. 10681 vom 5. Juli 2000.
(10) Christiane Hoffmann, Iran betont vor Thierses Besuch gemeinsame Interessen mit Berlin, in: FAZ, 16. Februar 2001.
(11) Archiv der Gegenwart 2001, S. 44809.
(12) Baham Nirumand, Gandji endlich frei, in: Iran-Report 4/2006, S. 5.
(13) Faraj Sarkuhi, a.a.O. .
(14) Auswärtiges Amt, Rede von Bundesaußenminister Fischer anlässlich der Eröffnung der neuen Botschaft der Islamischen Republik Iran in Berlin, 16. Februar 2005.
(15) Joschka, Durchs wilde Kurdistan, in: Pflasterstrand Nr. 47, Frankfurt/M., 10. Februar 1979, S. 28 ff.
(16) Vgl. Joschka Fischer, Die rot-grünen Jahre. Deutsche Außenpolitik vom Kosovo bis zum 11. September, München 2008 und Ludger Volmer, Die Grünen: Von der Protestbewegung zur etablierten Partei – Eine Bilanz, München 2009.