Neuestes Buch:
Nazis und der Nahe Osten
Wie der islamische Antisemitismus entstand
Die Gleichgültigkeit der Öffentlichkeit ermuntert das Regime
Deutschlandradio Kultur, 3. Dezember 2010
Das Gefängnis von Täbris ist alt, sein Gemäuer baufällig, seine Kanalisation marode. Hinter diesen Mauern hält Teheran seit dem 10. Oktober zwei deutsche Journalisten gefangen, weil sich diese für Sakineh Aschtiani interessierten, einer 43-jährigen Iranerin, der die Hinrichtung droht.
Während der ersten elf Tage ihrer Gefangenschaft wurde selbst den Mitarbeitern der deutschen Botschaft der Besuch verwehrt. Bis heute wird den Inhaftierten jeder Kontakt mit einem Anwalt und mit Angehörigen untersagt. Was haben sie verbrochen?
Am Anfang warf man ihnen ein Visavergehen vor: Sie seien als Touristen eingereist, um die Zensurauflage für Journalisten zu umgehen. Beobachter gingen von einer Verwarnung plus rascher Ausweisung aus. Doch nichts dergleichen geschah. Stattdessen führte das staatliche iranische Fernsehen die Gefangenen in der fünften Woche ihrer Haft als „Spione“ vor. Einziges Beweisstück: Ihre Notizen über ein Interview, das sie mit Sakinehs Sohn Sajjid geführt hatten. Spionage gehört zu den Vergehen, auf denen in Iran die Todesstrafe steht!
Nach Auskunft der Organisation „Reporter Ohne Grenzen“ hat es einen vergleichbaren Angriff auf die Meinungsfreiheit in der jüngeren deutschen Geschichte nicht gegeben.
Natürlich wurde hierzulande über das Schicksal der beiden Journalisten berichtet – mehr aber nicht. Die Bundesregierung übte sich in „stiller Diplomatie“ und ließ den Spionagevorwurf unkommentiert.
Auch die Axel Springer AG – der Arbeitgeber der beiden Reporter – hielt sich bedeckt. Anfangs behauptete ihr Sprecher, von der Verhaftung der eigenen Leute nichts zu wissen. Erst nachdem Teheran die Journalisten öffentlich vorgeführt hatte, bekannte die „Bild am Sonntag“, beide Mitarbeiter nach Iran geschickt zu haben. Man gibt sich seither solidarisch, hält aber mit den Namen der Betroffenen immer noch hinter dem Berg.
Natürlich müssen Diplomaten, die hinter den Kulissen agieren, den Ball niedrig halten. Dass aber auch die Vertreter der Medien und der Zivilgesellschaft nur im Flüsterton agieren – das leuchtet mir nicht ein. Glaubt man denn, dass Protest den Inhaftierten schadet und Leisetreten ihre Chancen erhöht?
Die Hoffnung, Teheran durch Zurückhaltung zum Einlenken zu veranlassen, ist menschlich verständlich, doch in der Sache verfehlt. Verständlich, weil die Kommunikationskultur, die wir kennen, auf Ausgleich basiert: Wenn ich dir etwas gebe, gibst du mir was zurück. Verfehlt, weil unsere Kompromiss-Kultur auf Iran nicht übertragen werden kann. Das erlebte Barack Obama: Seine Geste, Teheran die Hand zu reichen, wurde lediglich als Zeichen der Schwäche interpretiert. Das erleben jetzt auch wir: Mit ausgesuchter Zurückhaltung hatte Berlin auf die Inhaftierung der deutschen Journalisten reagiert. Teheran sah darin nur eine Ermutigung und eskalierte mit dem Spionagevorwurf den Konflikt.
Es wird Zeit, aus dieser Erfahrung zu lernen. Teheran muss spüren, dass die Öffentlichkeit hier und anderswo hinter beiden Journalisten steht. Unsere Nachbarn haben vorgemacht, wie das geht: Wenn französische Journalisten verhaftet oder entführt werden, tragen ihre Kollegen dafür Sorge, dass Tag für Tag während der Hauptnachrichtensendung des französischen Staatsfernsehens ihr Foto, ihr Name und die Anzahl ihrer Hafttage eingeblendet wird. So wird Handlungsdruck erzeugt.
Dass internationaler Druck etwas bewirken kann, hat die Solidarität mit Sakineh Aschtiani bewiesen. Das Regime setzte ihre Steinigung, die bereits verfügt war, aus. Und doch schwebt Sakineh weiter in Gefahr – sogar in großer Gefahr, nahm man doch gemeinsam mit den Deutschen auch ihren Sohn Sajjid und ihren Anwalt fest.
Wenn schon die Haftbedingungen für die Deutschen so erbärmlich sind, wie mag es dann erst diesem Sohn und diesem Anwalt gehen? Keiner weiß, wo sie stecken, ob sie gefoltert werden, ob sie noch leben.
Seit dem 10. Oktober lässt sich die Solidarität mit Sakineh vom Einsatz für die Freilassung des Sohns, des Anwalts und der deutschen Journalisten nicht mehr trennen. Die Reporter der „Bild am Sonntag“ sitzen heute da, wo auch Sakineh sitzt: In dem maroden Gefängnis von Täbris.
Es hängt an der Öffentlichkeit in Deutschland, ob sich über diese Gefangenen Schweigen senkt.
Am 3. Dezember 2010 von Deutschlandradio Kultur in dessen Reihe „Politisches Feuilleton“ gesendet sowie hier veröffentlicht.
Siehe zu diesem Thema auch den Aufsatz “Die Logik der Beschwichtigung”, den Thierry Chervel am 18. November hier publizierte.