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Nazis und der Nahe Osten
Wie der islamische Antisemitismus entstand
Das Regime droht öffentlich mit dem Ausstieg aus dem Atomwaffensperrvertrag, sollten sich die Europäer seinen Wünschen nicht fügen. Werden Großbritannien, Frankreich und Deutschland nachgeben?
Mena-Watch, 1. Februar 2020
Am 20. Januar 2020 erreichte der Atomstreit mit Iran eine neue Stufe. An diesem Tag erklärte Irans Außenminister Javad Zarif: “Wenn die Europäer ihr unangemessenes Verhalten fortsetzen oder die Akte Iran dem Sicherheitsrat vorlegen, dann werden wir den Atomwaffensperrvertrag verlassen.”[1]
Zuletzt drohte 1993 Nordkorea damit, aus dem Sperrvertrag, den es 1985 unterzeichnet hatte, auszusteigen. 2003 verließ es den Vertrag und zündete 2006 seine erste Atombombe. Wer mit dem Ende der Mitgliedschaft im Sperrvertrag droht, droht mit der Bombe. Wie war es zur jüngsten Eskalation im Atomstreit gekommen?
Am 8. Mai 2018 verließen die USA das als JCPOA (Joint Comprehensive Plan Of Action) bezeichnete Atomabkommen und belegten den Iran mit massiven Sanktionen. Dieser Schritt isolierte jedoch nicht, wie von Washington erhofft, das iranische Regime, sondern die Vereinigten Staaten. Die europäischen Verhandlungspartner Deutschland, Großbritannien und Frankreich (E3) verbündeten sich mit dem Iran gegen die USA und taten alles in ihrer Macht Stehende, um die amerikanischen Sanktionen zu untergraben und den JCPOA zu retten. Ihre Bemühungen waren vergebens: Der europäische Finanz- und Energiesektor zog sich aus dem Iran zurück, um seine Geschäftsbeziehungen mit den USA nicht zu gefährden.
Am 8. Mai 2019 gaben die Machthaber in Teheran bekannt, dass sie, ohne aus dem Abkommen auszuscheiden, an zentrale Bestimmungen des Abkommens nicht länger gebunden seien. Monatelang versuchten die E3, die sich sukzessive steigernden Verstöße des Iran gegen den Atomdeal zu ignorieren. Nachdem Anfang dieses Jahres die USA einen General der Revolutionsgarden in Bagdad getötet hatten, erklärte Teheran jedoch mit Verweis auf den Deal: “Die Islamische Republik Iran ist bei ihren Operationen keinen Einschränkungen mehr ausgesetzt.”[2] Keine Einschränkung bedeutet: Sämtliche Beschränkungen des Atomdeals sind ungültig.
Am 14. Januar 2020 erklärten die E3, dass der Iran den Atomdeal verletzt habe. Sie lösten deshalb den “Streitbeilegungsmechanismus” gemäß Paragraph 36 des JCPOA aus.[3] Dieser sieht vor, dass eine “Gemeinsame Kommission”, bestehend aus Russland, China, Großbritannien, Frankreich, Deutschland, dem Iran und der EU, den Versuch unternimmt, den Streit zu lösen.
Bliebe dieser Streit binnen einer Mindestfrist von 35 Tagen (plus einer im Konsens zu beschließenden Verlängerungsphase) ungelöst, könnten die Beschwerdeführer – also Großbritannien, Frankreich und Deutschland – die Iran-Akte entweder einzeln oder gemeinsam dem Sicherheitsrat der Vereinten Nationen übergeben. Dann aber könnte die sogenannte Snap-Back Klausel des JCPOA Anwendung finden. Diese sieht gemäß Paragraph 37 des JCPOA vor, dass “der Sicherheitsrat… über einen Beschluss zur Fortsetzung der Sanktionsaufhebung abstimmen soll”. Sollte diese Resolution am wahrscheinlichen Veto der USA scheitern, träten alle einst vom Sicherheitsrat beschlossenen Sanktionsbeschlüsse gegen den Iran erneut in Kraft.
Am 20. Januar 2020 machte Zarif die oben erwähnte Drohung: “Wenn die Europäer … die Akte Iran dem Sicherheitsrat vorlegen, dann werden wir den Atomwaffensperrvertrag verlassen.”
Diese Warnung zielt auf den 18. Oktober 2020.
Denn der Atomdeal trat am 18. Oktober 2015 in Kraft. Er sieht vor, dass der Iran nach genau fünf Jahren, also im Oktober 2020, wieder Zugang zum internationalen konventionellen Rüstungsmarkt erhält, einschließlich “Kampfpanzer, gepanzerte Kampffahrzeuge, großkalibrige Artilleriesysteme, Kampfflugzeuge, Kampfhubschrauber, Kriegsschiffe, Raketen oder Raketensysteme”, wie es in der UN-Resolution 2231 (2015), Anhang B, 5 heißt. Gleichzeitig wäre das Regime frei, solche Waffen an andere Länder oder seine regionalen Stellvertretermilizen zu exportieren.
“Wenn das Embargo im nächsten Jahr aufgehoben würde”, freute sich 2019 Irans Präsident Rohani, “wäre es ein riesiger politischer Erfolg.”[4]
Zarifs Androhung, den Atomwaffensperrvertrag zu verlassen, dient vermutlich dem Ziel, die E3 davon abzuhalten, die Snap-Back Klausel vor Oktober 2020 zu aktivieren, damit das Iran-Embargo für den Im- und Export konventioneller Waffen beendet wird. Werden sich die E3 dieser Drohung beugen?
SPIEL MIT DER ANGST
Zarif greift zu einem bewährten Mittel: die Taktik der nuklearen Erpressung. “Ihr habt nur ein einziges Mittel, um sicherzustellen, dass das iranische Atomprogramm friedlich bleibt”, drohte er bereits zu Beginn der JCPOA- Verhandlungen. “Ihr müsst zulassen, dass sich das Atomprogramm in einem friedlichen internationalen Umfeld [also ungestört – MK] entwickeln kann.”[5]
Atomwaffen in den Händen religiöser Fanatiker – das ist in der Tat ein Alptraum. Dieser worst case hat die Dynamik der JCPOA-Verhandlungen geprägt; er hing wie ein Damoklesschwert über den Akteuren. Aus Angst, das Regime könne den Verhandlungstisch verlassen und die Welt mit der Alternative iranische Bombe oder Bombardierung Irans konfrontieren, gaben die internationalen Unterhändler eine Position nach der anderen auf.
So kam es schließlich zu einem Abkommen, das die Urananreicherung und deren Weiterentwicklung erlaubt, die Entwicklung von Trägerraketen ermöglicht, IAEO-Inspektoren daran hindert, militärisch deklarierte Anlagen zu überprüfen und bereits fünf Jahre nach seinem Inkrafttreten auszulaufen beginnt.
Was immer an Donald Trump kritisiert werden muss: Seine Aussage vom 8. Mai 2018, “Amerika wird sich nicht atomar erpressen lassen” und seine Entscheidung, an diesem Tag aus dem Atomdeal auszusteigen, waren erste und wichtige Schritte, dieses Angstspiel zu beenden.
Zwar wird man irrationale Aktionen und Kriegsszenarien bei einem Regime dieser Art nie ganz ausschließen können, gleichwohl ist offenkundig, dass Teheran blufft und eine Stärke vortäuscht, die es nicht hat. Dieses Regime ist nicht nur aufgrund seiner teuren Kriege erheblich geschwächt, sondern auch durch Veränderungen im Lande selbst: Die Unzufriedenheit und der Widerstand der iranischen Bevölkerung nimmt täglich zu. Wie also werden sich die E3 angesichts von Zarifs Drohung verhalten?
DEUTSCHLAND SPIELT AUF ZEIT
Seit Großbritannien, Frankreich und Deutschland den Streitbeilegungsmechanismus des Atomdeals ausgelöst haben, liegt der Fortgang der Entwicklung in ihrer Hand.
Entweder, sie sorgen gemeinsam (oder im nationalen Alleingang) dafür, dass die UN-Sanktionen wieder greifen. Dann wäre der völlig unzureichende Deal von 2015 Geschichte; dann könnten diplomatische Isolation und wirtschaftlicher Druck die Voraussetzungen für ein neues und besseres Abkommen schaffen.
Oder sie klammern sich weiter an einen Atomdeal, den Washington ablehnt und Teheran ignoriert, um sicherzustellen, dass die Snap-Back Funktion gar nicht oder erst nach der amerikanischen Präsidentschaftswahl im November 2020 ausgelöst wird.
Im zweiten Fall würden die E3 nicht nur Teheran einen Sieg bescheren: Der Iran hat bereits seit 2015 eine Reihe von Militärabkommen mit Russland und China unterzeichnet.
Diese Abkommen, so Behnam Ben Taleblu von der Foundation for Defense and Democracies, “decken strategische und militärische Angelegenheiten ab. Berichten zufolge prüft der Iran einen zukünftigen 10-Milliarden-Dollar-Deal, um russische T-90-Panzer, Artilleriesysteme, Flugzeuge und Hubschrauber einzuführen.”[6]
Man müsse dem Iran “dringend die allermodernsten Waffen verkaufen”, forderte kürzlich Wladimir Schirinowski, der antisemitische Führer der Liberal-Demokratischen Partei Russlands, und verwies auf das russische S-500 Raketenabwehrsystem, “dass den gesamten Himmel über Iran schützen” werde.[7]
Hat sich die Bundesregierung bereits für Variante II entschieden? “Wir streben nicht danach, im VN-Sicherheitsrat umfassende Sanktionen gegen Iran einzusetzen”, betont Michael Roth, der Staatsminister im Auswärtigen Amt. Ziel der Nutzung des Streitschlichtungsmechanismus sei es, “den JCPOA zu bewahren und vollständig umzusetzen.”[8] Ähnlich äußerte sich Außenminister Heiko Maas: “Wir wollen das [JCPOA] -Abkommen erhalten und innerhalb des Abkommens eine diplomatische Lösung finden. Wir fordern den Iran auf, sich konstruktiv an dem jetzt beginnenden Verhandlungsprozess zu beteiligen.”[9]
Es zeichnet sich ab, dass Deutschland und der neue Außenbeauftragte der EU, Josep Borell, den “jetzt beginnenden Verhandlungsprozess” bis zum November 2020, dem Zeitpunkt der amerikanischen Präsidentschaftswahl, in die Länge zu ziehen suchen – in der Hoffnung, dass ein Kandidat der Demokratischen Partei die Wahl gewinnen und den JCPOA doch noch retten wird.
So betont Michael Roth, dass “die Beratungsfristen im Konsens verlängert werden (können)” während Borell als Vorsitzender der Gemeinsamen Kommission die Zeitvorgabe “angesichts der Komplexität der Thematik” bereits in Eigenregie verlängert hat.[10]
WIE WERDEN SICH GROSSBRITANNIEN UND FRANKREICH VERHALTEN?
Moskau und Peking werden beim Zeitschinden sicher gern mitmachen. Ob allerdings auch Frankreich und Großbritannien einen Kurs unterstützen, der mit Ablauf des 20. Oktober Irans militärische Fähigkeiten erheblich zu erweitern droht, ist offen.
Die öffentlichen Äußerungen von Angela Merkel, Boris Johnson und Emmanuel Macron zum Atomstreit zeigen, dass ihre Positionen durchaus divergieren: Deutschland tritt gern als Mittler zwischen Ost und West auf, verteidigt den JCPOA mit Zähnen und Klauen und distanziert sich sehr deutlich von Trumps maximum pressure –Kampagne gegenüber Teheran. Demgegenüber suchen Johnson und Macron die atlantische Allianz eher zu stärken und den JCPOA durch ein besseres Abkommen zu ersetzen; der pressure -Kampagne stimmen sie teilweise zu.
In der Fragestunde des Bundestages war die Angst vor dem Ausscheren eines dieser Mächte ein von der Opposition monierter Punkt. Hier warnte der grüne Außenpolitiker Jürgen Trittin, dass nach Ablauf der Frist “zum Beispiel Großbritannien berechtigt wäre, für sich einen Verstoß [gegen das JCPOA] festzustellen und von sich aus den Sicherheitsrat anzurufen.” Trittins Kollegin Katja Keul sekundierte: “Was macht Sie [Michael Roth] so sicher, dass wir hier nicht durch einen Alleingang der Briten doch in einen Automatismus kommen”, also erneut UN-Sanktionen erleben? [11]
Während das Regime die iranische Bevölkerung und die umliegenden Länder terrorisiert, und Israels Präsident im Bundestag das Regime “als eine Gefahr für den Frieden in der ganzen Welt” anprangert, scheinen Bundestagsgrüne und Bundesregierung hauptsächlich eine Sorge zu haben: Dass der internationale Druck auf Teheran wächst.
POSTSKRIPTUM:
Ohne Großbritannien scheint sich die EU noch ungehemmter beim Terrorregime in Teheran anbiedern zu wollen. Diesen Eindruck erweckte jedenfalls der Besuch des EU-Außenbeauftragten Josep Borrell Anfang Februar in Teheran. „Der Außenbeauftragte beteuerte, dass der Mitte Januar von Berlin, Paris und London ausgelöste Streitschlichtungsmechanismus ,nicht bedeutet, dass diese Länder in den UN-Sicherheitsrat gehen wollen, um das Atomabkommen dort zu erledigen‘“, berichtete am heutigen 5. Februar 2020 die Frankfurter Allgemeine. „Man sei sich mit den anderen beiden Garantiemächten China und Russland darin einig, dass die für die Schlichtung vorgesehenen Fristen ,fortlaufend verlängert‘ werden. … Ende Januar hatten sie vereinbart, nicht einmal ein Anfangsdatum festzulegen. Aus Verhandlungskreisen ist zu hören, dass es darum gehe, Zeit bis zur amerikanischen Präsidentenwahl im November zu gewinnen.“ (Thomas Gutschker, „Atomabkommen besser umsetzen“, FAZ, 5.2.2020)
DOKUMENT:
Vielleicht werden die Einzelheiten des Streitbeilegungsmechanismus des JCPOA im Laufe dieses Jahres eine gewisse Rolle spielen. Ich dokumentiere im Folgenden die maßgeblichen JCPOA-Bestimmungen im Wortlaut. Die Formel E3/EU+3 bezieht sich auf die Mächte, die den JCPOA verhandelten: Die E3, die EU sowie Russland, VR China und die USA.
Dispute Resolution Mechanism
36. If Iran believed that any or all of the E3/EU+3 were not meeting their commitments under this JCPOA, Iran could refer the issue to the Joint Commission for resolution; similarly, if any of the E3/EU+3 believed that Iran was not meeting ist commitments under this JCPOA, any of the E3/EU+3 could do the same._
The Joint Commission would have 15 days to resolve the issue, unless the time period was extended by consensus. After Joint Commission consideration, any participant could refer the issue to Ministers of Foreign Affairs, if it believed the compliance issue had not been resolved. Ministers would have 15 days to resolve the issue, unless the time period was extended by consensus.
After Joint Commission consideration – in parallel with (or in lieu of) review at the Ministerial level – either the complaining participant or the particpant whoses performance is in question could request that the issue be considered by an Advisory Board, which would consist of three members (one each appointed by the participants in the dispute an a third independent member). The Advisory Board should provide a non-binding opinion on the compliance issue within 15 days. If, after this 30-day process the issue is not resolved, the Joint Commission would consider the opinion of the Advisory Board for no more than 5 days in order to resolve the issue.
If the issue still has not been resolved to the satisfaction of the complaining participant, and if the complaining participant deems the issue to constitute significant non-performance, then that participant could treat the unresolved issue as grounds to cease performing its commitments under this JCPOA in whole or in part and/or notify the UN Security Council that it believes the issue constitutes significant non-performance.
37. Upon receipt of the notification from the complaining participant, as described above, including a description of the good-faith efforts the participant made to exhaust the dispute resolution process specified in this JCPOA, the UN Security Council, in accordance with ist procedures, shall vote on a resolution to continue the sanctions lifting.
If the resolution described above has not been adopted within 30 days of the notification, then the provisions of the old UN Security Council resolutions would be re-imposed, unless the UN Security Council decides otherwise. (…)”
[1] Rebecca Klar, Iran threatens to withdraw from nuclear treaty if Europeans bring case to UN, The Hill, 20. Januar 2020. Auf: https://thehill.com/policy/international/middle-east-north-africa/479022-iran-door-of-negotiations-on-nuclear-dispute
[2] Nasser Karimi, Jon Gambrell and Zeina Karam, Iran: We’re not bound by nuke deal, won’t limit enrichtment, after Soleimani hit, in: Times Of Israel, 5. Januar 2020. Auf: https://www.timesofisrael.com/iran-steps-away-from-nuclear-deal-in-wake-of-soleimani-killing/
[3] http://eeas.europa.eu/archives/docs/statements-eeas/docs/iran_agreement/iran_joint-comprehensive-plan-of-action_en.pdf
[4] Parisa Hafezi and Babak Dehghanpisheh, Iran sees lifting of U.N. arms embargo in 2020 as ‘huge political goal’, in: Reuters-World News, 11. November 2019. Auf: https://www.reuters.com/article/us-iran-nuclear-rouhani/iran-sees-lifting-of-u-n-arms-embargo-in-2020-as-huge-political-goal-idUSKBN1XL287
[5] FM Javad Zarif interview to Press TV: all options are not on the table; Iran cannot be deprived of its nuclear rights, in: Iran Daily Brief, September 12, 2013.
[6] Behnam Ben Taleblu, What Should The West Do As UN Arms Embargo On Iran Ends In 2020, in: Radio Farda, 16. Oktober 2019.
[7] Anton Mardasov, Will Russia provide missiles to ‘close the entire sky’ over Iran”, in: al-Monitor, 24. Januar 2020.
[8] Protokoll des Deutschen Bundestages, 15. Januar 2020, S. 17352.
[9] Steven Erlanger, France, Germany and U.K. Serve Notice on Iran Under Nuclear Deal, in: New York Times, 14. Januar 2020.
[10] Marine Strauss, EU’s Borrell extends timeline for dispute mechanism on Iran deal, auf: Reuters World News, 24. Januar 2020.
[11] Protokoll des Deutschen Bundestages, 15. Januar 2020, S. 17352f.
Die Originalveröffentlichung auf Mena-Watch befindet sich hier.
Bild: Der iranische Außenminister Javad Zarif bei den Atom-Verhandlungen zwischen den UN-Vetomächten und dem Iran 2014 · Urheber: Bundesministerium für Europa, Integration und Äusseres · Lizenz: CC-BY 2.0 · Bearbeitung: Yeah but still