Ropetz

Antwort auf Gremlizas Kolumne „Das Falsche im Richtigen“ (gemeinsam mit Frank Behn)

Von Matthias Küntzel

konkret, März 1998

Es ist schon wahr: In einer Jungle World nimmt die Verzweiflungsrhetorik zu. Gremliza will den Laden zusammenhalten und retten, was noch zu retten ist. Seine Kolummne “Das Richtige im Falschen” (Heft 2/98) geriet aber zu dem, was Hanns Eisler als Ropetz zu bezeichnen pflegte: Im Überschwang der Gefühle wird der Ton unrettbar verfehlt. Wenn ein Erzeugnis Ropetz ist, “werden weder Fragen aufgegriffen, noch wird irgendetwas verarbeitet. Als Fresko aber hat es den Zug, irgendetwas zu sagen. Solch ein Stück hält sich nicht, die Geschichte beweist es.” (Eisler 1958) Viele Kolummnen Gremlizas haben sich noch Jahre später als wahr erwiesen, dieses Fresko aber hält sich nicht.

Die ersten Worte der Kolummne sorgen für die emotionale Einstimmung, indem unverfroren Jürgen Elsässer (ein Hauptschreiber für konkret!) und die Autorinnen und Autoren von Goldhagen und die deutsche Linke oder: Die Gegenwart des Holocaust in eine Verbindung mit dem Geschichtsrevisionismus von Ernst Nolte gebracht werden: Vergeblich habe Nolte einst das Projekt gestartet, für Auschwitz Marx und die Linke verantwortlich zu machen. Jetzt aber – aufgepaßt! – “gibt es ein Projekt Linker und ehemaliger Linker, sich von ihrer Vergangenheit zu emanzipieren, indem sie entdecken, daß die eigentlichen Antisemiten “die Linken” seien.” Mit Verlaub, Euer Ehren:

Die Unterstellung, die AutorInnen von Goldhagen und die deutsche Linke wollten sich mit diesem Buch von ihrem bisherigen Selbstverständnis “emanzipieren”, was ja wohl nichts anderes meint als “verabschieden”, ist zu absurd, um dementierfähig zu sein. In der Absurdität steckt jedoch Tradition: Schon immer wurden Linke, die auf Fehler von KommunistInnen und SozialistInnen aufmerksam machten, reflexhaft des Verrats bezichtigt, um der Diskussion jener Kritik enthoben zu sein.

Unser Buch geht davon aus, daß auf Marx sich nur berufen kann, wer die gesellschaftliche Wirklichkeit, die mit dem Holocaust und der massenhaften Zustimmung der Deutschen zum Holocaust in neuer Form sich manifestierte, vorbehaltlos in die eigene Analyse aufzunehmen bereit ist. Unser Buch beweist am Beispiel der Reaktion auf die Goldhagen-Studie (die wir differenziert beurteilen), daß ein Großteil der deutschen Linken diesen Ausgangspunkt ablehnt: Auf Goldhagens Thesen wurde nicht mit einer kritischen Reflexion der gängigen Erklärungsansätze für den Holocaust, sondern hauptsächlich stumm oder allergisch reagiert. Dieses Defizit haben wir nicht mit dem Antisemitismus in der Linken erklärt, wie Gremliza suggeriert (HLG würde “ziemlich in Schweiß geraten”, wenn er einen Antisemitismus-Vorwurf gegen konkret anhand unseres Buches verifizieren wollte…), sondern mit der unerschütterlichen Parteinahme für das eigene Volk, die in den Träumen der deutschen ExilpolitikerInnen der 40er Jahre vom “anderen Deutschland” ihren Ursprung hat und mit den familiären Beziehungen, die auch die Nachkommen mit den ExekutorInnen des Holocaust verbindet oder verband. Mit einer Linken, die der Konfrontation mit Hitlers willigen VollstreckerInnen, wie sie als erster Goldhagen im Detail portraitierte, weiterhin auszuweichen sucht, gehen wir, in der Tat, scharf zu Gericht.

Nun ist auch der konkret-Herausgeber nicht eben für Zimperlichkeit bekannt. Warum also sah sich Gremliza zu dem überaus erstaunlichen Ausruf veranlaßt, ausgerechnet mit Goldhagen und die deutsche Linke “mißbrauchten” wir die Diskussion? Der Schlußabsatz seiner Kolumne beantwortet diese Frage außerordentlich klar: Grund ist unserer Weigerung, am Antifaschismus der Sozis, der Revis und der DDR das “Richtige” herauszustreichen, für das der Autor emphatisch eine Lanze bricht: Allein “die ,traditionalistisch’ gescholtene Linke”, also “Kommunisten, linke Gewerkschafter und Sozialdemokraten” sowie “mit ihren Braunbüchern und ihrem Geld, die DDR” habe in “fünfzig Nachkriegsjahren die Konfrontation mit der NS-Vergangenheit gesucht”. Dieser Antifaschismus sei zwar nicht ohne Makel gewesen. Wer jedoch “in der Kritik an dessen Fehlern seine Verdienste verleugnet, mißbraucht die Diskussion.”

Der schroffe Ton verweist auf das Substantielle der Differenz. Daß der Antifaschismus der genannten Formationen temporäre Verdienste bei der strafrechtlichen Verfolgung von Nazi-Tätern oder in Enthüllungen über Bonner Kontinuitäten aufweisen kann, ist der Streitpunkt nicht. Die individuelle und gesellschaftliche “Konfrontation mit der NS-Vergangenheit” hat dieser Antifaschismus jedoch nicht nur nicht befördert, sondern zielgerichtet und wirkungsvoll blockiert: Der Holocaust wurde als Fußnote, die Juden und Kommunisten als identische Opfer, der Antisemitismus als “Rassismus” und die Masse der willigen VollstreckerInnen und deren konkret-grausames Handeln nicht einmal phänomenologisch in das Blickfeld gerückt. Daß eine marxistische Antisemitismusforschung nicht stattgefunden hat, war kein Versäumnis, sondern subjektiv gewollt und objektiv Ausdruck der Tatsache, daß derartige Forschung mit bestimmen Prämissen des Arbeiterbewegungsmarxismus nicht zu vereinbaren war.

Die Selbsterkenntnis und Konsequenz, die Tucholsky 1935 von der Linken forderte, steht hinsichtlich dieses Antifaschismus bis heute noch aus: “Man hat eine Niederlage erlitten. Man ist verprügelt worden, wie seit langer Zeit keine Partei. ... Nun muß, auf die lächerliche Gefahr hin, daß das ausgebeutet wird, eine Selbstkritik vorgenommen werden, gegen die Schwefellauge Seifenwasser ist.”

Selbstverständlich haben der falsche Blick auf den NS und und ein mangelndes Gespür für das Ausmaß des Verbrechens sich auch politisch niedergeschlagen, wofür unser Buch Beispiele liefert. Z.B. Bitburg 1985. Als damals Helmut Kohl die Ehrung der SS-Gräber und die Teilnahme Ronald Reagans an dieser Zeremonie gegen weltweite Proteste durchgesetzt hatte, “blieb man bei der Pershing II und überließ es den über 1.200 aus allen Teilen Europas angereisten Jüdinnen und Juden, in Bitburg zu demonstrieren. Die deutsche Linke, die sonst keine Anstrengung und keinen Schauplatz scheute, übte sich in Zurückhaltung, wenn die Konfrontation mit der nationalsozialistischen Vergangenheit auf der Tagesordnung stand.” Gremliza, der diese Passage unseres Buches zitiert, sieht uns damit endgültig überführt: “Hier nun wird die neue Wahrheit zur blanken Lüge”, so der triumphierende Trompetenstoß, “es sei denn, es wären als ,deutsche Linke’ immer nur jene trotzkistischen maoistischen Fraktionen gemeint”. Und wie hatten 1985 die von Gremliza gelobten, in Gewerkschaft und Partei verwurzelten Nicht-Maoisten die “Konfrontation mit der NS-Vergangenheit” geführt? Jedenfalls nicht besser als der Rest: KONKRET hatte zu Bitburg (5/85) mit “The New Führer” aufgemacht und trendbewußt diesem Slogan eine Großaufnahme des damaligen US-Präsidenten unterlegt, da Ronald Reagan, so das Editorial, Bitburg erzwungen habe und als neuer Anführer der deutschen Politik zu kritisieren sei. Weder die SED, noch die Redaktion des Neuen Deutschland sahen sich wegen Bitburg zu einer Stellungnahme veranlaßt. Die Sozialdemokraten hatten geschlossen zugestimmt, parteiinterne Proteste, Austritte gar, wurden nicht bekannt.

Halt, stopp. Wir “mißbrauchen” mal wieder die Diskussion. “Zu welchem Zweck”, schreibt Gremliza, “darüber braucht nicht spekuliert zu werden”, denn dies versteht sich, wie schon im Kalten Krieg, so auch noch heute, von selbst. Wer die traditionelle Linke unsolidarisch kritisiert, ist Zutreiber für den Klassenfeind. Diese Rhetorik hatte zwar vor 1989 Denkprozesse in der Linken noch erfolgreich behindern können. Wer sie jedoch im Kontext einer Goldhagen-Diskussion wieder aufleben lassen will, erinnert nicht nur an den Schaffner, der im ausrangierten Eisenbahnwaggon die Notbremse zieht, sondern der gibt auch zu erkennen, daß er gegen bestimmte Erkenntnisgewinne grundsätzliche Vorbehalte hat. Die an Marx orientierte Publizistik oder Geschichtswissenschaft hat eine adäquate Analyse und Erklärung des Holocaust bis heute nicht vorgelegt. Erkenntnisfeindlichkeit ist deshalb das Merkmal, das hinter der konkret-Titelzeile “Die Goldhagen-Linke” steht, denn die von diesem Label ausgehende Botschaft ist klar: Wer davon tunlichst die Finger nicht läßt, gehört früher oder später selbst zum (Aussteiger-)”Projekt”.

Auch “ein hoch begabter Mensch”, sagt Eisler, bringt zuweilen Ropetz aufs Papier. Wenn es noch eines Anlasses bedurft hätte, die Notwendigkeit einer Goldhagen-Debatte in der Linken zu begründen: Gremliza lieferte ihn.

(aus: konkret 3/1998)