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Nazis und der Nahe Osten
Wie der islamische Antisemitismus entstand
Die zweitgrößte Atommacht der Welt wird Kriegspartner von Teheran
Hamburg, 5. Oktober 2015
„Gestern schlug Russland eine neue Seite der Weltgeschichte auf“ – begeisterte sich am 1. Oktober 2015 die Hisbollah-nahe Zeitung Al-Akhbar; die „Frankfurter Allgemeine“ sprach von einem „Wendepunkt“.[1]
In der Tat markiert der russische Kriegseinsatz in Syrien eine Zäsur. Erneut machte sich Wladimir Putin die „Selbstentmachtung“ (J. Joffe) der USA zunutze, um binnen weniger Tage Pflöcke einzuschlagen, die die Welt verändern.
In der ersten Septemberhälfte 2015 errichtete Russland im syrischen Jableh, nahe der Hafenstadt Latakia, eine Operationsbasis für russische Luftangriffe. In 25 großen Antonow-Flugzeugen wurden 250 Wohncontainer und 2.000 Marineinfanteristen nach Syrien geschafft, sowie mehr als 50 Kampfflugzeuge und „neben modernen Schützenpanzerwagen, Militärlastwagen und Granatwerfern auch Fernmelde- und Lasertechnik.“[2] Die Details dieser Aufrüstung deuten darauf hin, dass ihr offizieller Grund – Kampf gegen den Islamischen Staat – ein Vorwand ist. So wurden russische Flugzeuge vom Typ Su-30M Flankers nach Syrien geschafft, die allein für Luftkämpfe verwendet werden. Da die Anti-Assad-Gruppen keine Flugzeuge haben, obliegt ihnen die Aufgabe, andere Mächte abzuschrecken, um die Einrichtung von Flugverbotszonen zur Eindämmung des Assad-Terrors zu vereiteln.[3]
Am 27. September gab die Regierung in Bagdad bekannt, dass Russland mit Iran, Irak und Syrien eine militärische Kooperation vereinbart und in Bagdad ein Zentrum gegründet habe, um Kampfeinsätzen abzustimmen und Geheimdiensterkenntnisse auszutauschen. Der Westen wurde von dieser Koalitionsbildung kalt erwischt.
Am 30. September flog Russland erstmals Luftangriffe, allerdings nicht, wie von Moskau behauptet, gegen den Islamischen Staat. Die Angriffe wurden „in Zusammenarbeit mit dem syrischen Militär in Syrien ausgewählt“, so ein Sprecher Putins4 und richteten sich gegen andere Gruppen, die Assad bekämpfen. Erneut wurde der Westen überrumpelt: Eine knappe Stunde vor Beginn dieser Luftschläge verlas ein russischer General dem amerikanischen Militärattaché in Bagdad eine Botschaft, die die Luftschläge ankündigte und die USA aufforderte, syrischen Luftraum zu meiden.[5]
Alles weist darauf hin, dass Moskau die gemäßigte Opposition gegen Assad militärisch ausschalten will, „um den Westen am Ende vor die Wahl zu stellen, sich zwischen dem IS und dem Assad-Regime entscheiden zu müssen.“[6] Der momentane Nutznießer dieser Kampfeinsätze ist somit Syriens Diktator Baschar al-Assad, der in seinem Land aber kaum noch was zu sagen hat. Der strategische Gewinner der neuen russischen Politik aber heißt Iran.
Die russisch-iranische Achse
Syrien ist für den Iran ein zentrales Kettenglied der antisemitischen „Achse des Widerstands“, die auf Israels Beseitigung zielt. So ist Teheran auf ein pro-iranisches Regime in Damaskus schon deshalb angewiesen, um die Verbindung zur Hizbollah im Libanon zu halten. Ende 2012 begann die Intervention der Mullahs mit dem Ziel, den syrischen Diktator und damit die schiitische Gruppe der Alaviten an der Macht zu halten.
Mittlerweile sind in Syrien 7.000 iranische Revolutionsgardisten engagiert. Daneben hat der Iran für Syrien auch irakische, jemenitische und afghanische Schiiten rekrutiert; zuweilen unter Einsatz von Zwang. So wurden Söhne von afghanischen Armutsflüchtlingen, die im Iran gestrandet waren, gegen ihren Willen nach Syrien geschickt.[7] Recherchen der Universität in Maryland zufolge, trafen allein diesen Sommer 5.000 nicht-iranische Schiiten in Syrien ein; die Gesamtzahl der nach Syrien eingesickerten nicht-iranischen Schiiten wird auf 20.000 geschätzt.[8]
Zusätzlich befinden sind auch die Schiiten Syriens im Kampf. Sie werden von iranischen Militärs befehligt und stellen nach Angaben des Wall Street Journal mittlerweile 150.000 bis 190.000 Mann. Zahlenmäßig dürften sie damit stärker als die offiziellen syrischen Streitkräfte sein, denen es aufgrund massenhafter Desertationen an Nachwuchs fehlt.[9]
Ohne Teherans Beistand hätte Assad vor Jahren bereits abtreten müssen. Deshalb treten die Revolutionswächter in Assads Einflussbereich wie Besatzer auf. „Das syrische Regime ist kaum mehr als eine Marionette in der Hand der Revolutionswächter“, resümiert Shiar Youssef, ein Mitarbeiter der Gruppe Naame Shaam, die die iranische Rolle in Syrien detailliert untersucht.[10]
Kein Wunder also, dass Russland seine Luftangriffe in Absprache mit den iranischen Revolutionsgarden, den eigentlichen Machthabern in Damaskus, vorbereitete. Im Sommer 2015 gaben sich in Moskau iranische Diplomaten, Generäle und Strategieplaner die Klinke in die Hand. Im Juli traf hier Qassem Soleimani, der legendäre Chef der iranischen Qods-Brigaden mit Russlands Verteidigungsminister Sergei Shoygu zusammen. Im August folgte der Besuch des iranischen Außenministers Zarif in Moskau.[11]
Auf Teheran wird Moskau auch weiterhin angewiesen bleiben, sofern es auf dessen schiitische – und das heißt häufig: zum „Märtyrertod“ bereite – Fußtruppen nicht verzichten will. Inzwischen gibt es, so ein Militärberater der Freien Syrischen Armee, verlässliche Informationen, dass Truppen der iranischen Revolutionsgarden und der Hisbollah im Norden Syriens eine Bodenoffensive mit russischer Luftunterstützung planen.
Für Teheran, das gleichzeitig Krieg in Syrien, Irak und Jemen führt, kommt der russische Entlastungsangriff gerade recht, hatten doch die Pro-Assad-Kräfte in den letzten Monaten rapide an Boden verloren. Inzwischen sei Russlands Syrienpolitik mit der vom Iran „fast deckungsgleich“, erklärte Irans Präsident Rohani beglückt.[12]
Glück für die Machthaber in Teheran bedeutet aber Unglück für die Welt. Bisher haben sich die säkularisierten Großmächte als Widersacher der globalen islamistischen Bewegung verstanden. Jetzt aber ergreift Russland, die Großmacht mit dem zweitgrößten Atomarsenal der Erde, für den schiitischen Islamismus Partei und geht mit den Religionskriegern Teherans, den Urhebern des islamistische motivierten Selbstmordattentats und den Exporteuren des Terrors, ein Militärbündnis ein.
Würde sich Moskau auf diese Weise dem sunnitischen Islamischen Staat nähern, geriete die Welt in Aufruhr, natürlich zu Recht. Umso mehr irritiert die Nonchalance, mit der die internationale Öffentlichkeit auf den Iran-Pakt des Kreml reagiert.
Es ist zwar richtig, dass sich Teheran für die Außenwelt derzeit moderat kostümiert. Und es stimmt, dass das Regime – anders als der IS – den langsamen Galgentod seiner Opfer weder filmt noch im Internet verbreitet. Doch handelt es sich in beiden Fällen um Scharia-Diktaturen, die Andersdenkende wegsperren, foltern und töten. Ebenso wie der Kalif des Islamischen Staats verfolgt auch Khamenei eine Außenpolitik, die Israel auslöschen, die USA beseitigen und die liberalen Demokratien wie auch die 1945 geschaffene Weltordnung durch ein globales Scharia-Reich ersetzen will.
Putin und die Schwäche des Westens
Syrien ist für Russland von geringerer strategischer Bedeutung als für Iran. Bei den Außenhandelspartnern Russlands liegt Syrien auf dem 35. Platz – hinter Tunesien und Marokko. Selbst im Rüstungsgeschäft ist aufgrund syrischer Zahlungsunfähigkeit nichts mehr zu holen. Allerdings ist der Hafen der syrischen Stadt Tartus die einzige Marinebasis Russlands außerhalb des postsowjetischen Raums. Der Kreml braucht ihn, um längere Einsätze im Mittelmeer bzw. am Horn von Afrika durchführen zu können.[13]
Natürlich hätte sich Wladimir Putin auch anders entscheiden und sich mit einer veränderten Haltung zur syrischen Opposition die Nutzungsrechte für den Hafen in Tartus auch im Falle eines Machtwechsels sichern können. Stattdessen entschloss er sich, die Seite, die Russland bei den Atomgesprächen eingenommen hatte, aufzugeben, um auf die Gegenseite zu wechseln.
Wie weit die russisch-iranische Partnerschaft trägt, wird sich zeigen. So stimmen die Partner im Verhältnis zu Israel überhaupt nicht überein. Und doch wird mit der neuen Teambildung eine Hoffnung beerdigt, die in Washington, aber auch in Berlin wunderlichste Blüten trieb: Die Hoffnung, dass sich Teheran infolge des Atomdeals vom Pariastaat zu einem verantwortungsvollen Akteur wandeln könnte – zu einem Player, der die Konflikte im Nahen und Mittleren Osten entschärft und mithilft, Assads Abgang zu organisieren.
Jetzt schon verwandelt sich diese Hoffnung in einen Fluch: Der Iran verschärft, wie von den Kritikern des Atomdeals vorausgesagt, nicht nur seinen anti-westlichen Kurs. Sondern er erwies sich bei den Verhandlungen mit den 5 und 1 – Mächten als derart stark, dass er Russland aus der Phalanx der Irankritiker herauszureißen und an seine Seite zu ziehen vermochte. Da der Westen allzu demütig agierte, richten sich die „Eisenspäne der Macht“ (C. Wergin) neu aus: Putin, der Machtmensch, zog die Konsequenz.
Der Westen, dem bislang schon der Mumm fehlte, sich mit Teheran anzulegen, bleibt gedemütigt zurück, weil er der russischen Atommacht erst Recht nicht entgegentreten will. Während der Kreml für seinen Verbündeten Assad Gott und die Welt in Bewegung setzt, schauen die USA der Bombardierung ihrer Bündnispartner in Syrien zu. Zu mehr als einem papierenen Protest reicht es nicht.
Das russisch-iranische Zusammengehen verschärft aber nicht nur die ohnehin schon katastrophale Lage in Syrien: Es beschleunigt die Flüchtlingsbewegungen auf Kosten Europas und zu Lasten der sunnitischen Länder in der Region, es stärkt die Macht der Revolutionsgarden im Iran und es fördert die Radikalisierung in der sunnitischen Welt: Wie schon in der Vergangenheit, wird das schiitische Sektierertum Irans den Vormarsch des Islamischen Staats nicht behindern, sondern befördern.
Russland schlug in der Tat eine neue Seite in der Weltgeschichte auf: Diese kündet von weiteren Siegen des Islamismus, von noch mehr Katastrophen und von noch mehr Leid.
[1] Chairman Of The Hizbullah-Affiliated ,Al-Akhbar‘ Daily On Russian Air Campaign In Syria: ,Yesterday Russia Turned A New Page In The History Of The World“, MEMRI, Special Dispatch No. 6171, October 1, 2015; Rainer Hermann, Kampf um Syrien, Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ), 2. Oktober 2015.
[2] Moskauer Muskelspiele, in: FAZ, 14. September 2015.
[3] Helene Cooper and Michael R. Gordon, Russia Buildup Seen as Fanning Flames in Syria, in: New York Times (NYT), 29. September 2015.
[4] Laila Bassam, Iran unterstützt Assad-Regime mit Bodentruppen, in: Welt, 1. Oktober 2015.
[5] Russland fliegt Angriffe in Syrien, in: FAZ, 1. Oktober 2015.
[6] Michaela Wiegel und Majid Sattar, Eisige Stunden im Elysée-Palast, in: FAZ, 5. Oktober 2015.
[7]Afghan MPs Slam Iran For ,Forcibly Sending Afghan Refugees’ To Fight In Syria Alongside Bashar Al-Assad’s Troops; Afghan Senate Orders Probe, in: MEMRI, Special Dispatch No. 5748, 19. Mai 2014; Rainer Hermann, “Iran bildet Iraker für Einsätze in Syrien aus”, in: FAZ, 2. August 2013.
[8] Sam Dagher und Asa Fitch, Iran Expands Role in Syria in Conjunction With Russia’s Airstrikes, in: Wall Street Journal (WSJ), 2. Oktober 2015.
[9] Ebd.
[10] http://www.naameshaam.org/naame-shaam-releases-report-on-role-of-iranian-regime-in-syria-war/
[11] Jay Solomon and Sam Dagher, Russia, Iran Seen Coordinating on Defense of Assad Regime in Syria, in: WSJ, 21. September 2015.
[12] Andreas Ross, Obama und Putin uneins über Kampf gegen IS, in: FAZ, 29. September 2015.
[13] Margarete Klein, Analyse: Russlands Syrienpolitik, auf: http://www.bpb.de/internationales/europa/russland/157047/analyse-russlands-syrienpolitik?p=all .