Sind 500.000 Plastikschlüssel genug?

Ahmadineschad bringt Deutschland in eine prekäre Position

Von Matthias Küntzel

Januar 2006

Bei Mahmoud Ahmadinejad muss ich immer an die 500.000 Plastikschlüssel denken, die der Iran während des Krieges gegen den Irak (1980-88) aus Taiwan importierten ließ. Damals regelte ein iranisches Gesetz, dass schon Kinder ab zwölf Jahren auf die Minenfelder durften. Vor jedem Einsatz wurden ihnen ein Plastikschlüssel um den Hals gehängt, der ihnen, so die Zusicherung, die Pforte zum Paradies öffnen werde. Die halbamtliche iranische Tageszeitung ,Ettela’at’ rühmte den Tod der Kindermärtyrer so: „Früher sah man freiwillige Kinder, vierzehn-, fünfzehn-, sechszehnjährige. ... Sie gingen über Minenfelder, ihre Augen sahen nichts, ihre Ohren hörten nichts. Und wenige Augenblicke später sah man Staubwolken aufsteigen. Als sich der Staub wieder gelegt hatte, war nichts mehr von ihnen zu sehen. Irgendwo, weit entfernt in der Landschaft, lagen Fetzen von verbranntem Fleisch und Knochenteile herum.“ Diese Phase habe man jedoch überwunden, versicherte ,Ettela’at’: „Vor dem Betreten der Minenfelder hüllen sich die Kinder [jetzt] in Decken ein und rollen auf dem Boden, damit ihre Körperteile nach der Detonation der Minen nicht auseinanderfallen und man sie zu den Gräbern tragen kann.“[1]

Die sich so in den Tod rollten, gehörten der von Khomeini ins Leben gerufenen Massenbewegung der Basitschi“ an. Die Basitschi-e Mostasafan („die Mobilisierten der Unterdrückten“) waren Freiwillige aller Altersgruppen, die mit religiöser Begeisterung in den Tod liefen. „Die jungen Männer räumten mit ihren eigenen Körpern die Minen“, so ein Kriegsveteran, „es war zum Teil wie ein Wettrennen, ohne Befehl der Kommandeure, jeder wollte der erste sein.“ [2] Sie waren das Vorbild der ersten Selbstmordattentäter der Hizbullah im Libanon und sind bis heute eine Art Sturmabteilung (SA) der islamischen Revolution geblieben, die mal als „Sittenpolizei“ interveniert, mal gegen Oppositionelle wütet (wie 1999 bei der Zerschlagung der Studentenbewegung) und stets den Kult der Selbstaufopferung zelebriert.

Ahmadinedjad ist ein Basitschi-Aktivist der ersten Stunde und auch heute häufig in Basitschi-Uniform zu sehen. Er will die „Basitschi“-Kultur der 80er Jahre zu neuer Blüte bringen, um nicht zuletzt die westlich orientierte iranische Jugendbewegung, die immerhin 700.000 Weblogs ins Leben rief, zu isolieren.[3] Dieses Jahr rief er persönlich zur Teilnahme an der alljährlich stattfindenden „Basitschi-Woche“ (25.11.-2.12.2005) auf. Die Mobilisierung war enorm: Nach einem Bericht der Zeitung Kayan beteiligten sich rund 9 Millionen Basitschi, die „eine Menschenkette über eine Entfernung von 8.700 Kilometern (bildeten), an der auch Prädident Ahamdinejad teilnahm. Allein in Teheran wurden 1.250.000 Menschen mobilisiert.“[4]

Ahmadinejad rühmte bei dieser Gelegenheit die „Basitschi-Kultur und Basitschi-Macht“, mit der der Iran heute „auf der internationalen und weltdiplomatischen Ebene präsent“ sei. Der Vorsitzende des Wächterrates, Ayatollah Ahmad Jannati, stellte selbst die Existenz des iranischen Atomprogramms als einen Erfolg jener Menschen dar, „die der Basitschi-Bewegung dienen und eine Basitschi-Psyche und Basitschi-Kultur besitzen“ und fügte hinzu: „Wir brauchen eine 20-Millionen-Armee von Basitschis. Eine solche Armee muss bereit sein, für Gott zu leben, auf dem Wege Gottes zu sterben und den Jihad zu führen, um Gott zu gefallen.“[5]

Soll auf diese Weise die iranische Bevölkerung auf den angekündigten Atomkrieg gegen Israel vorbereitet werden? Vor drei Jahren legte der damalige iranische Präsident Hashemi Rafsanjani dar, dass schon „eine einzige Atombombe innerhalb Israels alles zerstören“ würde, während der Schaden des potentiellen Gegenschlags für die islamische Welt begrenzbar sei. „Solch eine Möglichkeit in Betracht zu ziehen, ist nicht irrational.“[6] Nicht irrationaler jedenfalls, als Zehntausende iranische Jungen auf Minenfelder zu jagen. Auch mit eine Million Toten, so die Logik Rafsanjanis, würde die islamische Welt noch überleben, während Israel schon vernichtet sei. Es ist dieses im Wortsinn selbstmörderische Kalkül, das die iranische Atomambition von den Interessen aller anderen Atommächte unterscheidet und trennt. Wenn es heute aber unter den westlichen Nationen überhaupt eine gibt, die diesem Wahnsinn mit wirksamen Sanktionen begegnen könnte, ist es die deutsche.

Wie reagiert Berlin auf Teheran?

Seit 25 Jahren dient die Bundesregierung sich schamloser als jede andere westliche Regierung bei den antisemitischen Mullahs an. 1984 machte Hans-Dietrich Genscher als erster westlicher Außenminister dem Regime seine Aufwartung. Dass in Teheran die Köpfe rollten, störte ihn nicht. Zehn Jahre später trainierte der Bundesnachrichtendienst iranische Geheimdienstler in München.[7] Und während amerikanischen Firmen der Handel mit Iran seit 1995 untersagt ist, wird „Deutschland … auch in den kommenden Jahren der Wunschtechnologiepartner Irans sein“, schwärmte 2003 der Präsident des deutschen Nah- und Mittelostvereins, Werner Schoeltzke. „Außenminister Fischer … ist in Teheran eine Lichtgestalt.“[8]

Heute ist Deutschland mit konstanten Wachstumsraten von über 20 Prozent das mit Abstand wichtigste Lieferland für den Iran. So wurden in 2004 Güter im Wert von 3,6 Milliarden Euro aus Deutschland in den Iran exportiert.[9] Gleichzeitig ist die Bundesrepublik der größte Abnehmer iranischer Nichtölprodukte sowie der größte Gläubiger des Iran.[10]

Seitdem Ahmadinedschad der Weltöffentlichkeit das ideologische Fundament der Mullah-Diktatur: Holocaust-Leugnung, Israel-Vernichtung und Judenhass – so nachdrücklich in Erinnerung ruft, ist Berlin jedoch in einer Bredouille. Einerseits möchte man die deutsche Sonderbeziehung zu Teheran auch jetzt nicht gefährden.[11] Andererseits sieht es nicht gerade gut aus, wenn das Land der Holocaust-Mörder mit dem Regime der Holocaust-Leugner paktiert. Deutschlands neuer Vizekanzler, Franz Müntefering (SPD), deutete am 11. Dezember den Ausweg aus diesem Dilemma an: „Berlin fordert eine ,Reaktion’ auf Ahmadineschad“ lautete am Folgetag die Schlagzeile der FAZ. Dies klang überraschend radikal. Wer das Kleingedruckte las, merkte aber schnell, wie diese Schlagzeile zu verstehen war: „Berlin fordert von allen anderen eine ,Reaktion’ auf Ahamdineschad“. Der Vizekanzler wird in dem Bericht wie folgt zitiert: „Das können wir nicht allein bewegen, sondern das muss im Rahmen der Europäischen Gemeinschaft in aller Deutlichkeit angesprochen sein und das muss im Rahmen der Vereinten Nationen in aller Deutlichkeit angesprochen sein.“[12]

Wie bitte? Deutschland könne alleine nichts bewegen? Nur die Bundesregierung kann das 2002 unterzeichnete Investitionsschutzabkommen zwischen Deutschland und dem Iran kündigen. Nur Berlin kann die Hermes-Bürgschaften für Iran-Investoren beenden, die den Iran vor nahezu allen anderen Ländern der Welt bevorzugt. „Hermes-Bürgschaft“ bedeutet, dass der deutsche Staat alle spezifischen Risiken, die mit Investitionen im Iran verbunden sind, übernimmt. Schon 1992 wurden für Exporteure in den Iran die nach Russland zweithöchsten „Hermes-Bürgschaften“ gewährt. Seither wurden der Umfang dieser „Hermes“-Deckungen ständig ausgeweitet. Dieser unerhörten Privilegierung der Mullah-Diktatur ein Ende zu bereiten, ist politisch aber unerwünscht. Münteferings radikale Rhetorik ist die Begleitmusik zum „business as usual“. Die starken Worte an die Adresse der EU und der UN dienen dem Zweck, den vollständigen Verzicht auf materielle Konsequenzen im Verhältnis Deutschland-Iran zu bemänteln. Während die Bundesregierung beim EU-Gipfel lautstark „ein klares Signal der schärfsten Missbilligung“ fordert, spricht sie sich im Bundestag kleinlaut „gegen eine Isolierung des Landes aus“.[13]

Und die linke Opposition? Sollte man nicht annehmen, dass der Vorrang elementarster Menschenrechte vor großindustriellen Interessen ein vorrangiges Anliegen der „Grünen“ und der Fraktion „Die Linke“ sei? Weit gefehlt. Von wenigen Ausnahmen abgesehen, lässt sich dieses Lager seinen verschwörungstheoretisch motivierten Hass auf „BuSharon“ auch durch die Holocaust-Leugner von Teheran nicht nehmen. „Gäbe es den iranischen Präsidenten Ahmadinedschad nicht, müssten ihn die USA und Israel erfinden“, schreibt beispielsweise die den Grünen nahestehende Tageszeitung „taz“. Ahmadinedschads Worte seien nur deshalb ernst zu nehmen, „weil sie den USA und Israel … einen willkommenen Vorwand liefern.“[14] Nicht besser der Sprecher der „Linkspartei“. Als der Deutsche Bundestag am 16. Dezember 2005 die Äußerungen des iranischen Präsidenten debattierte, widmete er der angedrohten Auslöschung Israels keine Silbe, um seine Redezeit zu 100 Prozent auf die „CIA-Affäre“ konzentrieren zu können.[15]

Und so vereinigten sich am 16. Dezember 2005 alle im Bundestag vertretenen Parteien, um der Müntefering-Linie in einer einstimmig verabschiedeten Resolution, die das deutsch-iranische Sonderverhältnis nicht einmal erwähnt, Beifall zu spenden: „Der Deutsche Bundestag begrüßt, dass die Bundesregierung den Äußerungen des iranischen Präsidenten entgegengetreten ist.“[16] Na bravo und auch weiter viel Erfolg! Es würde mich bei so viel industriepolitischer Verantwortung nicht wundern, wenn Ahmadinejad das nächste Sortiment an Plastikschlüsseln für seine Basitschi in Deutschland bestellt. Ob aber 500.000 Paradiesschlüssel für den Krieg gegen Israel ausreichen werden?
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1) Gabriele Thoß und Franz-Helmut Richter, Ayatollah Khomeini. Zur Biographie und Hagiographie eines islamischen Revolutionsführer“, Wurf – Verlag Münster 1991, S. 124f.

2) Zit. nach Christiane Hoffmann, Vom elften Jahrhundert zum 11. September. Märtyrertum und Opferkultur sollen Iran als Staat festigen, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ), 4. Mai 2002.

3) Rund zehn Prozent dieser Weblogs werden regelmäßig geführt. Einer der Initiatoren der regimekritischen Internet-Bewegung ist der iranische Journalist Hossein Derakhshan (www.hoder.com/weblog/). Vgl. Hossein Derakhshan. Vater der Blogger, in: FAZ, 22. Dezember 2005.

4) Zit. nach Wahied Wahdat-Hagh, Bassiji: die revolutionäre Miliz des Iran, in: MEMRI Special Dispatch vom 20. Dezember 2005. (www.memri.de) Die Zeitung Kayhan steht dem Ayatollah Khamenei nahe. Der Iran hat ca. 72 Millionen Einwohner.

5) So Jannati in seiner Freitagspredigt vom 2. Dezember 2005, zit. nach Wahied Wahdat-Hagh, a.a.O.

6) Zit. nach: MEMRI Special Dispatch Series, No. 324, 3 January 2002.

7) Arthur Heinrich, Zur Kritik des ;Kritischen Dialogs’. Der Sonderweg Bonn-Teheran, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, Mai 1996, S. 533 und 536.

8) „Iran ist wegen seines Wachstums wichtig“. Fragen an Werner Schoeltzke, den Präsidenten des Nah- und Mittelostvereins (Numov), in: Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ), 5. Dezember 2003.

9) So Michael Tockuss, der Geschäftsführer der Deutsch-Iranischen Industrie-und Handelskammer zu Teheran. Vgl. Rainer Hermann, Länderbericht Iran, in: FAZ, 17. November 2003 sowie Ayala Goldmann, „Nicht unser Bier“. Wirtschaft und Kultur in Deutschland zeigen kaum Interesse am Boykott des Iran., in: Jüdische Allgemeine, 22. Dezember 2005.

10) Javad Kooroshy, Die wirtschaftliche Dimension der deutsch-iranischen Sonderbeziehungen, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, Januar 1997, S. 73.

11) Wie man selbst der Holocaustleugnung einen Anschein von Normalität verleihen kann, demonstrierte ein führender Kolumnist der Frankfurter Allgemeinen Zeitung am 15. Dezember unter der Überschrift „Wie reagieren?“ Es sei verkehrt, so Bannas, das von Ahamdinedschad betriebene „Spiel der Isolierung mitzuspielen. Zu unterscheiden ist zwischen Existenzrechtbestreitung und Holocaustbestreitung. Erstere verlangt unbedingt nach Ächtung. Leugung oder Verharmlosung historischer Verbrechen aber kommt oft vor, so in der Türkei gegenüber den Armeniermorden, und wird, missbilligend zwar, hingenommen.“

12) Berlin fordert eine ,Reaktion’ auf Ahamdineschad, in: FAZ, 12.12.2005

13) Steinmeier: Geduld mit Iran nicht endlos, in: FAZ, 16.12. 2005. „Im Augenblick ist nicht erkennbar, was das auslösen soll“, erklärte Gernot Erler, Staatsminister im Auswärtigen Amt auf die Frage, ob deutsche Unternehmen nicht per Handelsembargo davon abgehalten werden sollten, in den Iran Waren im Welt von 3,6 Milliarden Euro zu liefern. Gernot Erler, in: Interview mit dem Deutschlandfunk vom 16. Dezember 2005.

14) Baham Nirumand, Der Iranische Präsident betreibt das Geschäft der USA und Israels, in: taz, 15. Dezember 2005.

15) Siehe die Rede von Michael Leutert (Fraktion Die Linke), vorläufiges Plenarprotokoll vom 16. Dezember 2005, TOP 19a und 19b, S. 7f. Gegenstand der Debatte war der „Bericht der Bundesregierung über die deutsche Menschenrechtspolitik in den auswärtigen Beziehungen“. Die Grünen sind mit 8,1 und „Die Linke“ mit 8,7 Prozent im Parlament vertreten.

16) Antrag der Fraktionen CDU/CSU, SPD, FDP, DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Existenzrecht Israels ist deutsche Verpflichtung, Drucksache 16/197. Ich habe in dem umfangreichen Protokoll dieser Bundestagsdebatte nur einen einzigen Satz gefunden, der die deutschen Geschäftsbeziehungen zum Iran wenigstens streift: Man müsse, so der Abgeordnete Beck von Bündnis 90/Die Grünen, „die wirtschaftlichen, diplomatischen und andersweitigen Beziehungen zum Iran daraufhin überprüfen, wie wir Druck auf den Iran ausüben.“ (Vorläufiges Protokoll, S. 9) Dieses Thema kam ansonsten kam in der 75-minütigen Debatte nicht vor.