Sind islamischer und europäischer Antisemitismus "strukturell identisch"?

Über Klaus Holz' "Die Gegenwart des Antisemitismus"

Von Matthias Küntzel

"Schabbat Schalom", 7. April 2006

Kurzrezension für „Schabbat Schalom“, ausgestrahlt am 7. April 2006 vom Norddeutschen Rundfunk (NDR-Info)

„Die Gegenwart des Antisemitismus“ lautet der Titel eines kürzlich erschienenen Buches von Klaus Holz. Sein Untertitel: „Islamistische, demokratische und antizionistische Judenfeindschaft“ Der Textteil umfasst 105 Seiten im Taschenbuchformat. 25 Seiten sind der Judenfeindschaft in der demokratischen Öffentlichkeit – Stichwort: Walser und Homann – gewidmet. Ein weiterer Abschnitt befasst sich mit dem „Antizionistischen Antisemitismus“, während sich der Hauptteil des Buches auf den Antisemitismus in der muslimischen Welt konzentriert.

Holz ist unter den Antisemitismusforschern der Verfechter des „linguistic turn“. Das bedeutet, er konzentriert sich auf die Textanalyse und zieht einen klaren Trennungsstrich zwischen der antisemitischen Tat und der antisemitischen Weltanschauung. So lautet der auf die Shoah bezogene Schlusssatz seiner im Jahr 2000 veröffentlichten Habilitationsschrift wie folgt: „Deutschland trägt für den Mord, nicht für das Mordmotiv allein die Verantwortung.“[1] Der Mord, also die Tat, wird vom dahinterstehenden Motiv, also vom Text, getrennt.

Es kann deshalb nicht verwundern, dass auch Holzens neue Schrift die Praxis des islamischen Antisemitismus – angefangen von der Ermordung Daniel Pearls bis zu den Selbstmordattentaten in Israel oder New York – nicht berührt. Um so höher natürlich unsere Erwartung, was seine Textanalyse auf dem Gebiet des islamischen Antisemitismus anbelangt. Doch leider kann Holz gerade hier – auf seinem ureigenen Gebiet also – nicht überzeugen.

Dass er seine Untersuchung auf lediglich zwei Schriften konzentriert – auf die Charta der Hamas sowie auf das einflussreiche Pamphlet des Muslimbruders Sayyid Qutb „Unser Kampf gegen das Judentum“ – geht noch in Ordnung. Dass er allerdings eine von den beiden Quellen, Qutbs Essays, nur auszugsweise betrachtete, irritiert.[2] Obwohl dieser Schlüsseltext des islamischen Antisemitismus seit fast 20 Jahren in Gänze verfügbar und auch leicht zu beschaffen ist, begnügt sich der vielgelobte Autor mit einer Quelle, die nur etwa 20 Prozent des Qutb-Textes enthält. Wie aber kann ein zu 80 Prozent unbekannter Text seriös analysiert werden?

Wenn Holz seinen Untersuchungsgegenstand in Gänze gesichtet hätte, hätte er so manchen Fehler seiner Darstellung vermeiden können. So aber schlussfolgert Holz aus seinem Quellenstudium, dass sich der Antisemitismus in der muslimischen Welt „nur indirekt und in wesentlichen Teilen überhaupt nicht aus den religiösen Texten des … Islam ableiten (läßt).“[3]

Qutb, sein Kronzeuge, beschwört demgegenüber auf jeder Seite seines Pamphlets die antijüdischen Direktiven des Koran. Und obwohl Qutb geradezu gebetsmühlenhaft die islamische Frühgeschichte – sprich: Muhammads Kampf gegen die Juden von Medina – zum Urgrund und zur Triebfeder des zeitgenössischen muslimischen Antisemitismus in Szene setzt, behauptet Holz steif und fest, dass dieser „in allen wesentlichen Aspekten ein Import aus Europa“ sei.[4]

Aus derartigen Fehleinschätzungen destilliert Holz die Kernthese seines Buchs: Dass es nämlich keinen ideologisch eigenständigen islamistischen Antisemitismus gebe, da dieser mit dem europäischen Antisemitismus „strukturell identisch“ sei.[5]

Tatsächlich aber breitet sich eine spezifisch antijüdische Lesart des Koran in der arabischen Welt immer weiter aus. Warum wird der Stellenwert dieser Koran-Interpretation bei Holz minimiert? Handelt es sich, wie Micha Brumlik vermutet, um „ein weiteres letztes Gefecht einer unbelehrbaren Linken“ mit dem Ziel, die Verantwortung für den muslimischen Antisemitismus weniger bei den Muslimen selbst, denn bei Israel und dem Westen festzumachen?[6]

Dass Holzens neues Buch diesem Vorwurf Nahrung liefert, ist schwerlich zu bestreiten. So behauptet der Autor, dass der Antisemitismus in europäisch-muslimischen Einwanderergruppen eine Folge der „sozial, rassistisch und religiös begründete Ausgrenzung“ sei. Und selbst noch den arabischen Antisemitismus sucht Holz mit einem äußeren Anstoß zu erklären: Mit Israel. Im Kontext des Nahost-Konflikts, so der Autor, „(kann) sich der Antisemitismus als Deutungsmuster für einen tatsächlichen Konflikt um Existenzbedingungen darstellen.“[7] Haben Juden am Antisemitismus der Muslime selber schuld? Dies sagt der Antisemitismusforscher nicht. Seine Argumentationsweise läuft aber eben darauf hinaus.[8]
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[1] Klaus Holz, Nationaler Antisemitismus. Wissenssoziologie einer Weltanschauung, Hamburg, 2001, S. 552.

[2] Holz stützt sich laut Fußnote 11 auf den knapp 3-seitigen Auszug aus Qutbs Text, den Ronald L. Nettler im Rahmen (und nicht „im Anhang“, wie Holz schreibt) seines Aufsatzes „Past Trials and Present Tribulations. A Muslim Fundamentalist Speaks on the Jews“ in: Michael Curtis (ed.), Antisemitism in the Contemporary World, London 1986 dokumentiert. Nettlers gleichnamiges Buch, das Qutbs Aufsatz auf 16 Seiten in vollständiger englischer Übersetzung dokumentiert und mit 35 Fußnoten erläutert, scheint Holz nicht gekannt zu haben. Vgl. Ronald L. Nettler, Past Trials and Present Tribulations. A Muslim Fundamentalist’s View of Jews, Oxford et. al (Pergamon Press), 1987.

[3] Klaus Holz, Die Gegenwart des Antisemitismus, Hamburg 2005, S. 15.

[4] Holz, a.a.O., S. 15. Er schreibt: „Die traditionale, religiös begründete Judenfeindschaft, die im Islam ihre Anfänge in Kämpfen zwischen jüdischen Stämmen und Mohammeds Gefolgschaft in Medina nimmt [Haben jüdische Stämme je gegen Mohammed gekämpft? Anm. MK] , bildet wie in Europa einen Hintergrund für die Entwicklung des modernen Antisemitismus. Dieser Transformationsprozess aber vollzieht sich nur in Europa zwischen dem 16. und 19. Jahrhundert, während in der islamischen Welt der moderne Antisemitismus als entwickelte Weltanschauung übernommen und an die dortigen Gegebenheiten angepasst wird.“ (S. 16)

[5] Holz, a.a.O., S. 13. „Der islamistische Antisemitismus erweist sich als strukturell identisch mit dem europäischen.“

[6] Micha Brumlik, Die Rezension als gut getarnte Waffe, in: taz, 18. März 2006.

[7] Holz, a.a.O., S. 81.

[8] Hierzu Micha Brumlik (a.a.O.): „Tatsächlich handelt es sich bei den Einlassungen von Lorenz, Holz und anderen um ein weiteres, letztes Gefecht einer unbelehrbaren Linken, die der Auffassung ist, dass der Staat Israel sich den Terrorismus letztlich selbst zuzuschreiben hat. Dieser Auffassung hat sich eigenartigerweise auch die liberale ZEIT angeschlossen, als sie es Holz erlaubte, in einem Beitrag mitzuteilen, dass sich der islamistische Hass zumal von Palästinensern dadurch unterscheide, dass es diesmal nicht nur um paranoide Wahnideen, sondern um reales Verhalten von Juden gehe. ..... Die israelische Besatzungspolitik (ist) für den genozidalen Hass auf den israelischen Staat verantwortlich zu machen. Das aber ist letztlich die These von Klaus Holz – und zwar seit mehreren Jahren.“