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Nazis und der Nahe Osten
Wie der islamische Antisemitismus entstand
MENA-Watch, 4. April 2016
Am 15. April 1936 geschah es, vor genau achtzig Jahren, am Abend um halb neun.
Drei Araber hielten in der Nähe von Nablus Fahrzeuge an: Einer beobachtete die Straße, ein anderer hielt die Passagiere der gestoppten Fahrzeuge mit der Waffe in Schach, und der Dritte nahm ihnen ihr Geld ab. Dann wurden die Opfer gefragt, ob sich Engländer oder Juden unter ihnen befänden. Der Lastwagenfahrer und sein Begleiter, beide Juden, wurden an Ort und Stelle erschossen. Ebenfalls anwesend war ein Mann, der behauptete, dass er Deutscher und Hitleranhänger sei. Die drei ließen ihn „Hitler zuliebe“ mit 35 Pfund Sterling in der Tasche laufen. [1]
Mit diesem Vorfall begann der Arabische Aufstand im britischen Mandatsgebiet für Palästina. Und so ging es weiter: Am 17. April ermordeten radikale Juden in Vergeltung zwei Araber. Am 19. April töten Araber in Jaffa 9 Juden und verletzten zehn. Nun verhängte die britische Mandatsmacht eine Ausgangssperre und rief den Notstand aus. Am 20. April begann gleichzeitig in Nablus, Jaffa und Jerusalem ein Streik. Am 25. April entstand zur Leitung des „Generalstreiks“, wie man ihn nun nannte, das überparteiliche „Arab Higher Committee“ unter Führung von Amin el-Husseini, dem Mufti von Jerusalem.
„Schon im Mai lagen Handel und Gewerbe bei den Arabern im wesentlichen still“, heißt es im Bericht der britischen „Peel-Kommission“, die die Unruhen untersuchte. „Der Hafen von Jaffa war überhaupt nicht in Tätigkeit. Die arabischen Läden in Jerusalem und anderswo waren geschlossen. … Dann und wann begleiteten örtliche Demonstrationen den Streik. Juden wurden in verschiedenen Teilen des Landes angefallen und mit Steinen beworfen.“
Im Juni verschärfte sich die Situation. Araber, die sich vom Streik fernhielten wurden bedroht. „Gewalttätigkeit und Sabotage nahmen zu“, so die Peel-Kommission. „Zwei Züge wurden zur Entgleisung gebracht und ein Brücke in die Luft gesprengt. Straßen wurden verbarrikadiert und Telephondrähte durchschnitten. Aber die ernsteste Erscheinung war das Auftauchen von Banden bewaffneter Araber in den Bergen, darunter Freiwillige aus Syrien und Irak.“ [2]
Auslöser für den Aufstand war die rapide Zunahme der jüdischen Einwanderung nach der Machtübernahme der Nazis in Berlin. 1933 kamen 30.327 Jüdinnen und Juden ins Land, 1935 waren es bereits 61.854. [3] Die Aufständischen forderten deshalb, die jüdische Einwanderung zu verbieten, jedwede Übertragung arabischen Bodens an Juden zu untersagen und eine nationale Regierung einzurichten.
Doch die Hände der Briten waren gebunden. Auf sie hatte der Völkerbund, der den Umgang mit der Erbmasse des zerschlagenen Osmanischen Reichs regelte, das Mandat für Palästina übertragen. Primärer Zweck des britischen Mandats war die Förderung des Jüdischen Nationalheims, wie man es den Juden in der Balfour-Erklärung von 1917 versprochen hatte. So forderte Artikel 4 des Mandatvertrags von der Mandatsmacht, die „jüdische Einwanderung unter geeigneten Bedingungen (zu) erleichtern und … eine geschlossene Ansiedlung von Juden auf dem Lande … (zu) fördern.“ [4]
Der Arabische Aufstand dauerte mit Unterbrechungen bis zum Frühsommer 1939. Er prägte wie kaum ein zweites Ereignis die weiteren Verläufe des Nahostkonflikts. Doch erreichte er auch sein Ziel?
Terror gegen arabische Palästinenser
Ökonomisch betrachtet konnte der „Generalstreik“ wenig ausrichten, da die damals 400.000 Juden, die in den wichtigsten Wirtschaftszentren – Haifa, Tel-Aviv, Jerusalem – die Mehrheit stellten, dem Streik nicht nur fernblieben, sondern ihre eigene Wirtschaftstätigkeit angesichts dieser Umstände ausbauten. In den arabisch dominierten ländlichen Regionen waren Streiks hingegen kaum möglich.
So wurde nach und nach die Streikbewegung durch den Aktivismus institutionalisierter Banden ersetzt. Es begann mit Gruppen von Jugendlichen, die als „Nationalgarde“ all jene, die dem Streik fernblieben, denunzierten, einschüchterten, verprügelten und manchmal auch ermordeten. Daraus entwickelten sich in den ländlichen Gebieten Banden mit je einigen Dutzend Mitgliedern, die sich um ihre regionalen Führer scharten.
Doch auch diese wüteten nicht ohne Konzept: „Der Mufti [Amin el-Husseini] schaltete bewusst mit äußerster Härte seine Gegner innerhalb des palästinensischen Lagers aus“, schreibt Abraham Ashkenasi. „Der palästinensische Aufstand von 1936 – 1939 war auch ein Angriff auf die Gegner des Mufti. Innerhalb des palästinensischen Lagers ist es zu mehr Mord und Totschlag gekommen, als gegen Juden und gegen Briten.“ [5]
Gleichzeitig wurde der Aufstand von den Gefolgsmännern des Mufti und des islamistischen Predigers Izz al-Din al-Qassam islamisiert. Al-Qassam, der den Kampfeinheiten der der Hamas auch heute noch als Namensgeber dient, hatte seit 1931 in der Umgebung von Haifa eine Bewegung geformt, die die Ideologie der devoten Rückkehr zum Ur-Islam des 7. Jahrhunderts mit der Praxis des Djihad gegen die Ungläubigen verband.
Brachial führten die von ihm und dem Mufti inspirierten Banden in den „befreiten“ Zonen neue Kleiderordnungen sowie Scharia-Gerichte ein. Bewundernd berichtete 1943 ein deutscher Mufti-Biograph über die Erschießung palästinensischer Araber, die sich weigerten, die als „Palästinensertuch“ bekannte Kaffiyah, zu tragen. Nicht minder drakonisch wurden arabische Christinnen aber auch alle anderen Frauen zur Verschleierung gezwungen. [6]
Gleichzeitig nahm man gezielt Palästinenser ins Visier, die den Ausgleich mit dem Zionismus und der Mandatsmacht suchten.
„Menschen, die Land an Juden verkauften … oder moderate politische Ansichten hegten und deren Nationalismus man als unterentwickelt verdächtigte, … wurden nicht immer sofort getötet; manchmal wurden sie gekidnappt und in den Gebirgsabschnitten unter die Kontrolle der Rebellen gestellt“, berichtet Yehuda Porath, der wichtigste Historiker dieser Periode. „Dort warf man sie in Gruben, die mit Schlangen und Skorpionen versetzt waren. Falls die Opfer nach mehreren Tagen in dieser Grube noch lebten, wurden sie vor eines der Rebellengerichte gebracht … und normalerweise zum Tod oder, als spezielle Form der Rechtsprechung, zu massiver Auspeitschung verurteilt. Der Terror war so massiv, dass niemand, einschließlich der Religionsgelehrten und Priester, es wagte, ordentliche Bestattungen durchzuführen.“ [7]
Diese Praktiken bewirkten, dass immer größere Teile der Bevölkerung die ,Aufständischen‘ bei den britischen Behörden denunzierten und sich gegen Übergriffe der Mufti-Banden bewaffneten. Seit dem Herbst 1938 war die offene Opposition arabischer Bevölkerungsteile gegen die Politik des Mufti nicht mehr zu übersehen. [8]
Gleichwohl war die Wirkung auf die arabische Gesellschaft Palästinas desaströs: Alte Fehden waren aufgebrochen, neue Blutrachen hinzugekommen. Der größte Teil der Christen – Ärzte, Geschäftsleute und einflussreiche Familien – war aus Palästina geflohen. [9] Von diesem Exodus hat sich das arabische Palästina bis heute nicht erholt.
Einmischung der arabischen Welt
Auf der anderen Seite mischte sich die arabische Welt erstmals in die Auseinandersetzungen im Mandatsgebiet ein. Was bis zum Arabischen Aufstand ein Streit zwischen Zionisten und palästinensischen Arabern war, weitete sich nunmehr zu einem Machtkampf zwischen dem Zionismus und der arabischen Welt aus. Zwar diente die von London gebilligte Einmischung von Saudi-Arabien, Irak, Jemen und Transjordanien anfänglich dem Ziel, den Streik zu beenden, was Ende 1936 auch gelang.
Doch hatte sie schon damals auch eine militante Dimension. 1936 strömte erstmals eine große Menge Freiwilliger aus Syrien, dem Irak und Transjordanien ins Land, um die Kämpfe gegen Briten und Juden zu unterstützen.
Im September 1937 kamen über 400 arabische Aktivisten in dem syrischen Ort Bludan zusammen, um über eine Ausweitung des Aufstands zu beraten, darunter 160 Syrer, 128 Palästinenser, 65 Libanesen, 30 Transjordanier, zwölf Iraki, sechs Ägypter und ein Vertreter aus Saudiarabien. [10] Im Oktober 1938 fand in Kairo eine „Islamische Parlamentarierkonferenz zugunsten von Palästina“ statt, bei der erstmals auch der ägyptische Premier Muhammad Mahmud auftrat und eine pro-palästinensische Rede hielt.
Die Tatsache, dass es während dieser Konferenz die Muslimbrüder waren, die den Ordnerdienst stellten, für die Trennung von Männern und Frauen sorgten und nebenbei auch Kopien von „Mein Kampf“ und den „Protokollen von Zion“ verteilten, verweist auf einen weiteren Aspekt: Der Aufstand in Palästina war der Auslöser, der aus der 1928 gegründeten Sekte der Muslimbrüder eine Massenbewegung machte.
In Moscheen, Schulen und Betrieben alarmierte sie die Gläubigen mit der frei erfundenen Behauptung, dass Juden und Briten die heiligen Stätten des Islam in Jerusalem zerstören und den Koran in Stücke reißen und zertrampeln würden. Zwischen 1936 und 1938 stieg ihre Mitgliederzahl von 800 auf 200.000 an. [11]
Nazideutschland kommt ins Spiel
„Für die Erfordernisse und Ziele der deutschen Propaganda kam die Palästina-Frage wie bestellt“, schrieb der Nahost-Historiker Lukasz Hirszowicz über diese Jahre. [12] Auf der einen Seite bot der Aufstand Gelegenheit, den Hass auf Juden unter Arabern zu schüren. Auf der anderen Seite standen mit dem Mufti und den Muslimbrüdern willige, von Berlin finanzierte Nazi-Helfer bereit.
So diente während des Arabischen Aufstands das Hakenkreuz als Erkennungssymbol: Wer in jenen Jahren durch die aufständischen Gebiete Palästinas fahren musste, befestigte an seinem Fahrzeug ein Hakenkreuz, um vor den Überfällen arabischer Freischärler geschützt zu sein. [13] Arabischen Kinder hießen sich mit dem „deutschen Gruß“ willkommen, und bei Feiern aus Anlass von Mohammeds Geburtstag wurden deutsche Fahnen und Hitlerbilder gezeigt.
Nachdem die Peel-Kommission, im Sommer 1937 aufgrund der Unruhen zu dem Urteil kam, dass Palästina geteilt und 20 Prozent des Landes an die Juden gehen sollte, erhöhte sich der deutsche Einsatz zugunsten der Aufständischen enorm.
„Der Mufti gab selbst zu“, schreibt Klaus Gensicke, „dass es seinerzeit nur durch die ihm von den Deutschen gewährten Geldmittel möglich war, den Aufstand in Palästina [weiter] durchzuführen. Von Anfang an stellte er hohe finanzielle Forderungen, denen die Nazis in sehr großem Maße nachkamen.“ [14]
In London, wo man im Vorfeld des sich anbahnenden Weltkrieges auf gute Beziehungen zur arabischen Welt angewiesen war, löste die zunehmende Kooperation zwischen Deutschland und den arabischen Aufständischen Besorgnis aus.
Großbritannien resigniert
Allein zwischen April und Oktober 1936 wurden drei Offiziere und 34 Soldaten oder Polizisten der britischen Mandatsmacht getötet sowie 32 Offiziere und 174 Soldaten oder einfache Polizisten verletzt. [15] Überrascht von der Wucht des Aufstands bestellte die britische Regierung den Bericht der Peel-Kommission, die Mitte 1937 die Teilung des Landes empfahl. Parallel dazu gab sie Weisung, den Mufti zu verhaften, was dank dilettantischer Vorbereitung jedoch misslang.
Im Ergebnis führte der Teilungsplan aber nicht zur Beruhigung. Er stachelte ganz im Gegenteil die Aufständischen weiter an. Die gesamte arabische Welt drohte sich gegen London zu verbünden, um den jüdischen Teilstaat zu verhindern. Sie wurde hierbei von den Nazis unterstützt.
Zwar gelang es den Briten, den Aufstand in der zweiten Hälfte 1938 mit harter Hand zu unterdrücken. Gleichzeitig aber zog London am 9. November 1938, als in Deutschland die Synagogen brannten, den Vorschlag zur Teilung Palästinas zurück.
Doch damit nicht genug: Seinen größten Triumph erzielte der Arabische Aufstand, als London im Mai 1939 – die Wehrmacht war in Prag gerade einmarschiert – das sogenannte „Weißbuch“ veröffentlichte. Darin wurde die jüdische Einwanderung nach Palästina für die folgenden fünf Jahre auf 75.000 Menschen beschränkt. Nach Ablauf der fünf Jahre sollte laut „Weißbuch“ die jüdische Einwanderung von der Zustimmung der Araber abhängig – also de facto unmöglich – gemacht werden und jüdischer Landkauf so gut wie unterbunden werden. [16]
Dies widersprach nicht nur dem Mandat des Völkerbundes, es ließ auf empörende Weise auch den laufenden Krieg der Nazis gegen die Juden außer Acht.
Der eigentliche Auslöser dieser Entscheidung war freilich Berlin: Der Zweite Weltkrieg zeichnet sich deutlich ab; da galt es, sich mit den Arabern gutzustellen – auf Kosten der Juden.
Die Bilanz des Arabischen Aufstands ist somit negativ – und zwar für alle Beteiligen. Er hat erstens die radikal-islamistischen Kräfte um den Mufti gestärkt und die kompromissbereiten Araber ermordet, eingeschüchtert oder vertrieben. Er hat zweitens den ersten Versuch einer Zwei-Staatenlösung für Palästina zunichte gemacht. Drittens erreichte der Aufstand zwar teilweise sein Ziel: Er veranlasste die britische Regierung, die jüdische Einwanderung zu drosseln. Mit der Sperrung des Zugangs nach Palästina lieferte London jedoch zahllose Juden den Nazis aus. Viertens hat sich seit dem Aufstand die von den Nazis forcierte antisemitische Deutung des Konflikts weiter durchgesetzt.
Aus diesem Schatten Adolf Hitlers trat das Gros der arabischen Palästinenser bis heute nicht heraus.
Der Originalbeitrag auf MENA-Watch findet sich hier.
Anmerkungen:
[1] So der Bericht des palästinensische-arabischen Nationalisten Akram Zu’aytir, zit. nach Gilbert Achcar, Die Araber und der Holocaust, Hamburg 2012, S. 133.
[2] Königliche Palästina-Kommission unter dem Vorsitz von Earl Peel, Bericht über Palästina, Berlin 1937, S. 111f.
[3] Königliche Palästina-Kommission, a. a. O., S. 94ff.
[4] Königliche Palästina-Kommission, a. a. O., S. 38f und S. 44.
[5] So Abraham Ashkenasi in seinem Vorwort zu Klaus Gensicke, Der Mufti von Jerusalem Amin el-Husseini und die Nationalsozialisten, Frankfurt/M. 1988, S. 7.
[6] Kurt Fischer-Weth, Amin al-Husseini. Großmufti von Palästina, Berlin 1943, S. 83. Im Westen wurde später die auch von Arafat genutze Kaffiyah zum Ausweis und Symbol „progressiven“ Denkens.
[7] Yehuda Porath, The Palestinian Arab National Movement. From Riots to Rebellion, Vol. II, 1929-1939, London 1977, S. 250.
[8] David Th. Schiller, Palästinenser zwischen Terrorismus und Diplomatie, München 1982, S. 163.
[9] Ebd., S. 145ff.
[10] Elie Kedourie, The Bludan Congress on Palestine, September 1937, in: Middle Eastern Studies, Vol. 17, Jan. 1981, No. 1, S. 109.
[11] Matthias Küntzel, Djihad und Judenhass, Freiburg 2002, S. 29f.
[12] Lukasz Hirszowicz, The Third Reich and the Arab East, London 1966, S. 27.
[13] Ralf Balke, Die Landesgruppe der NSDAP in Palästina, Diss. Düsseldorf 1997, S. 214 und 216. Iwo Jordan, Araberaufstand. Erlebnisse und Dokumente aus Palästina, Wien/Leipzig 1943, S. 3 und 97. Jordan hat ein arabisch-palästinensisches Flugblatt mit Hakenkreuzen als Faksimile dokumentiert.
[14] Gensicke, a. a. O., S. 234,
[15] Königliche Palästina-Kommission, a. a. O., S. 121.
[16] Hermann Meier-Cronemeyer, Geschichte des Staates Israel, Schwalbach 1997, S. 107.