Neuestes Buch:
Nazis und der Nahe Osten
Wie der islamische Antisemitismus entstand
Über das Buch ",The Sons of Pigs and Apes'. Muslim Antisemitism and the Conspiracy of Silence" von Neil J. Kressel
Hamburg, den 15. Februar 2013
Kressels Buch beleuchtet eines der großen Rätsel unserer Zeit. Es handelt von der Weigerung der westlichen Eliten und der westlichen Intelligenz, den radikalen und massenhaften Antisemitismus in der muslimischen Welt wahrzunehmen, geschweige denn ihn zu begreifen oder gar zu bekämpfen. Der Autor beschreibt das Paradox, dass die westliche Linke, die den Kampf gegen jede Form von Rassismus und Faschismus zu ihren Zielen erklärt, ausgerechnet dann versagt, wenn es um den nazi-ähnlichen Antisemitismus geht, wie er etwa in der Charta der Hamas zu finden ist. Sein Buch ist wichtig, weil es sich auf die Darstellung jenes Antisemitismus nicht beschränkt, sondern den skandalös ignoranten Umgang mit diesem Judenhass zum Thema macht.
In einem ersten Schritt umreißt Kressel die Dimensionen des Problems. So zitiert er Umfragen des „Pew Global Attitudes Project“ von 2009, wonach mehr als 95 Prozent der Befragten in Ägypten, Jordanien oder dem Libanon Juden gegenüber negativ eingestellt sind. In Ländern außerhalb des Nahen Ostens wie Pakistan, Indonesien oder der Türkei äußerten 70 Prozent der Befragten diese Position und in Nigeria immerhin noch 60 Prozent. (S. 129) Diese Zahlen beweisen, dass die antijüdische Einstellung sehr viel weiter verbreitet ist, als der Islamismus als politische Tendenz.
Monokausale Erklärungen für diesen Antisemitismus lehnt Kresse ab. Wer ihn mit dem Nahostkonflikt zu erklären suche, lasse, so der Autor, die Verwurzelung der Judenfeindschaft im Islam außer Acht. Wer den Judenhass aber allein aus dem Koran ableite, könne nicht erklären, warum dieser Hass heute wesentlich ausgeprägter sei, als in früheren Zeiten. Kressel geht stattdessen von einem Ursachengeflecht aus:
„Die religiöse Tradition und die Geschichte des Islam bot eine feste Basis für die Zunahme des Judenhasses. Europäische Antisemiten exportierten zahlreiche virulente Motive für diese Gegnerschaft und bauten hierbei auf jener religiösen Basis auf. Als sich der arabisch-israelische Konflikt im 20. Jahrhundert aufheizte, waren die Voraussetzungen gegeben, um den Streit über ein Stück Land in einen rassistisch und religiös begründeten Antisemitismus zu transformieren, wie man ihn in diesem Ausmaß in der muslimischen Welt bisher nicht gesehen hat. Die gleichzeitige Entwicklung des Islamismus schürte das Feuer des Judenhasses, in dem er dessen furchtbarsten historischen und theologische Präzedenzfälle wiederbelebte – Präzedenzfälle die in den Jahrhunderten zuvor keine besondere Rolle gespielt hatten. Mit Israels militärischen und wirtschaftlichen Erfolgen, mit dem arabischen politischen Fehlschlägen und der zunehmenden Zentralität der Palästinafrage im muslimischen Bewusstsein verwandelte sich die Feindschaft gegenüber Juden von einer Nebensache zu einer Obsession. Als schließlich die extremistischsten Strömungen in der muslimischen Welt – etwa die PLO, die Hisbollah, Khomeini, Hamas, al-Qaida – den Eindruck erweckten, sie würden siegen und einen Weg in die Zukunft weisen – da begann viele hinter ihren Fahnen zu marschieren, darunter der Fahne eines ganz und gar abscheulichen Antisemitismus.“ (163f)
Konspiration des Schweigens
In einem zweiten Schritt zeigt Kressel, wie die Akteure des Westen diese „Epidemie des Hasses ignorieren oder missverstehen oder absichtlich herunterspielen.“ An der Spitze dieser „Konspiration des Schweigens“ stünden „Menschenrechtsaktivisten, Akademiker, Sozialarbeiter, links orientierte politischer Führer, liberale Journalisten, progressive christliche Sekten, Beamte der Vereinten Nationen und andere, von denen man eigentlich erwartet, dass sie dem offenen Vorurteil mit eiserner Entschlossenheit entgegentreten.“ Kressel gelingt es, seine zentrale These von der „Konspiration des Schweigens“ mit vielen eindrucksvollen Beispielen zu belegen.
So erwähnt der Autor eine 2003 veröffentlichte Studie über den „Psychoinfo-Index“. Es handelt sich hierbei um ein Verzeichnis aller Aufsätze aus dem Bereich der Psychologie, die seit 1940 erschienen sind. Diesem Index zufolge wurden bis 2003 458 Aufsätze zum Thema Antisemitismus verfasst, 99 davon in den letzten zehn Jahren. Kein einziger aber konzentrierte sich auf den Antisemitismus in der islamischen oder arabischen Welt. Nicht anders sieht es Kressel zufolge bei den Soziologen aus: Der Index „Sociological Abstracts“ verzeichnet zwar 130 Aufsätze über Antisemitismus, die seit 1963 erschienen sind, jedoch keinen einzigen über den Antisemitismus in der muslimischen Welt. (92) Ein wenig habe sich dies in den letzten Jahren geändert, jedoch immer noch zu wenig.
Kressel zitiert den renommierten Orientalisten Martin Kramer, der die Politisierung der Middle East Studies an amerikanischen Universitäten beklagt: Hier sei Forschung durch Voreingenommenheit ersetzt, weshalb die Anwendung „einiger Vorurteile zu Bestnoten führt, während abweichende Meinungen als ,thought-crimes‘ behandelt werden.“ Diese Studienfelder hätten sich in ihren linguistischen Codes den Regimes des Mittleren Ostens angeglichen: „Viel Befreiungsrhetorik auf der einen Seite, aber härteste Attacken gegen jede Art von Widerspruch.“ (94/95)
UN: Panisches Weggucken
Beeindruckende Belege liefert Kressel auch aus den Hinterzimmern der Vereinten Nationen. So sollte am 24. Januar 2008 der Historiker David Littman im Menschenrechtsausschuss der Vereinten Nationen als Vertreter der World Union of Progressive Judaism (WUPJ), einer bei den Vereinten Nationen zugelassenen NGO mit 1,7 Mio. Mitgliedern, Stellung nehmen. Littman scheiterte aber mit seinem Versuch, aus Artikel 2 der Charta der Hamas zu zitieren, der die Zerstörung Israels durch den Islam beschwört. Noch bevor er den ersten Satz hatte aussprechen können, unterbrach ihn die Versammlungsleitung unsanft, da sein Beitrag vom Thema ablenke. Zwei weitere Unterbrechungen folgten. Seine Proteste verhallten ungehört. Bestürzt über die Weigerung des Menschenrechtsausschusses, ihn lediglich anzuhören, paraphrasierte der gebürtige Brite einen berühmten Satz aus Shakespeares Hamlet: „Something is rotten in the state of this council.“
Jetzt aber ging das Theater erst wirklich los: Die Vertreter von 118 Ländern fühlten sich durch das Shakespeare-Zitat derart beleidigt, dass sie beantragten, Littmans Organisation, der WUPJ, den UN-Beobachterstatus zu entziehen. Littman, so hieß es in der schriftlich eingereichten Begründung, habe unbegründete Anschuldigungen erhoben und das UN-System unterminiert. Am Ende wurde eine Entschuldigung der WUPJ akzeptiert und der Hinauswurf knapp verhindert. (85)
Dieser Zwischenfall zeigt gleichwohl, wie die Voreingenommenheit gegenüber Israel mit einer geradezu panischen Weigerung, den Antisemitismus der Hamas zur Kenntnis zu nehmen, einhergeht.
Kressel zitiert Pedro Sanjuan, einen ehemaligen hochrangigen Mitarbeiter des UN-Sekretariats, der nach zehnjähriger Dienstzeit ein Buch über seine Erfahrungen im Apparat veröffentlichte. „Ich erkannte“, heißt es darin, „dass Antisemitismus ein etablierter Bestandteil der UN-Lebensweise war. Es war nicht nur eine politische Einstellung, die Israel betraf. Antisemitismus war ein kultureller Code, der – mal etwas weniger, mal etwas mehr – die UN-,Kultur‘ definierte.“ (88)
Kressel möchte jene Unkultur aber nicht nur beschreiben, sondern auch ihren Ursachen auf den Grund gehen. Warum, fragt er, haben so wenig Beobachter außerhalb der jüdischen Gemeinschaft den Willen und die Fähigkeit bewiesen, die gefährliche Natur des revitalisierten Antisemitismus im Nahen Osten zu verstehen? Was sind die tatsächlichen Motive derjenigen, die die Bedeutung des muslimischen Antisemitismus leugnen oder minimieren? Ich möchte, schreibt er, „einen ersten Schritt zur Erklärung dieses Versagens unternehmen.“ (57)
In dieser Hinsicht kommt sein Buch über „einen ersten Schritt“ in der Tat nicht hinaus. Es werden, um das ominöse Schweigen zu begründen, hauptsächlich Stichworte notiert. So sieht der Autor „Apathie, Ignoranz, Konfusion, Engstirnigkeit, falsche Ideologie, angeblichen Pragmatismus, fehlgeleiteten Multikulturalismus und andere Gründe“ am Werk. (11) Gleichzeitig kommen Aspekte, die für die Ignoranz des muslimischen Antisemitismus tatsächlich von Bedeutung sind, zu kurz.
Vorwurf der Islamophobie
Der Autor weist zutreffend darauf hin, dass zu dem Katalog der Argumente, die zur Leugnung des islamischen Antisemitismus beitragen, der Vorwurf des Rassismus, genauer: der „Islamophobie“ gehört. Diesem Vorwurf zufolge sind die „Anklagen gegen den muslimischen Antisemitismus ein Bestandteil islamophober Vorurteile“. Mit der Anschuldigung, sie agierten wie Rassisten, will man in der Tat nicht selten diejenigen einschüchtern, die sich dem Trend entgegenstellen, indem sie sich weigern, den Judenhass unter Muslimen zu ignorieren oder herunterzuspielen.
Dabei ist schon der Begriff “Islamophobie” höchst irreführend. Hier nämlich werden zwei unterschiedliche Phänomene – die ungerechtfertigte, also rassistisch motivierte Abneigung gegen Muslime und die notwendige Kritik am Islamismus – miteinander vermischt und beide gleichermaßen verurteilt. Der Topos der Islamophobie kam nicht zufällig ins Spiel. Diese schillernde Vokabel scheint hauptsächlich deshalb erfunden zu sein, um den islamischen Antisemitismus vor der Kritik zu bewahren oder jene Kritik zu relativieren.
Es ist nichts Neues, dass man Begriffe prägt, um Realitäten wie die des Nationalsozialismus, des Antisemitismus oder des Holocaust rhetorisch zu verwischen.
So haben Antisemiten als Parallelwort zu „Nazismus“ den Begriff des „Zionismus“ gekapert und in einer bestimmten Weise instrumentalisiert.
Als „Gegenbegriff“ zu „Holocaust“ wurde das Wort “Nakba” eingeführt. Es bezeichnet die Katastrophe der Palästinenser, die dadurch entstand, dass mehrere arabische Armeen 1948 den von den UN beschlossenen jüdischen Teilstaat in Palästina dem Erdboden gleichmachen wollten, bei diesem Versuch aber scheiterten. Obwohl aber der Holocaust durchaus nicht die Folge eines Überfalls war, bei dem mehrere jüdische Armeen Deutschland zu beseitigen suchten, werden die Begriffe „Holocaust“ und „Nakba“ wieder und wieder parallelisiert.
Das Gegenwort aber, das dem Antisemitismus zur Seite gestellt wurde, heißt „Islamophobie“.
Auf Betreiben des türkischen Premierministers Recep Tayyip Erdogan hatte der Europarat im Mai 2005 erstmals die Begriffe „Antisemitismus und Islamophobie“ in einem Atemzug genannt. Seither wurde diese Praxis inflationiert. Zwar trifft es zu, dass der Rassismus eine Komponente des Antisemitismus ist. Doch ist der Antisemitismus keine Komponente des Rassismus, sondern eine spezifische Ideologie mit Elementen, die man im Bereich des Rassismus nicht kennt. Dieses Spezifikum wird schon durch die die gedankenlose Auflistung – Antisemitismus, Islamophobie – relativiert.
Ich kann dies hier nicht weiter ausführen, sondern möchte lediglich andeuten, wie wichtig die begründete Zurückweisung derartiger Rhetorik-Strategien ist. Kressels Kapitel über Islamophobie stellt diesen Begriff aber nicht infrage. Im Gegenteil: „Es gibt Gründe für die Auffassung, dass ,Angst‘ – ob nun gerechtfertigt oder nicht – eine bedeutsame Komponente der Negativhaltung gegenüber dem Islam und den Muslimen darstellt. Deshalb ist die Bezeichnung ,Islamophobie‘ sinnvoll.“ (135)
Kein heimliches Einverständnis?
Gleichzeitig lehnt Kressel die These, “derzufolge viele Leugner und Verharmloser des muslimischen Antisemitismus in aller Welt selbst zumindest ein wenig antisemitisch sind”, ab. „Dieser Ansatz scheint weder brauchbar noch überzeugend zu sein.“(144) Auch hier möchte ich widersprechen, an dieser Stelle aber lediglich auf die Worte des berühmten Antisemitismusforschers Léon Poliakov verweisen:
“Wer den Antisemitismus in seiner primitiven und elementaren Form nicht anprangert, und zwar gerade deshalb nicht, weil er primitiv und elementar ist, der muss sich die Frage gefallen lassen, ob er nicht dadurch den Antisemiten in aller Welt ein Zeichen heimlichen Einverständnisses gibt.”
Kressel kann auf Basis seiner etwas oberflächlich geratenen Anamnese natürlich nicht allzu viele Vorschläge entwickeln, wie die westliche „Konspiration des Schweigens“ aufgebrochen werden kann. Stark und innovativ ist aber sein Schlusskapitel, in welchem er die Auseinandersetzung über den Antisemitismus im Milieu der Muslime untersucht.
Muslime gegen Antisemitismus
Kressels Ausgangspunkt ist die wichtige Einsicht, dass der Judenhass unter Muslimen hauptsächlich von jenen selbst zurückgedrängt werden muss. Kressel rückt deshalb die „heroische Opposition gegen Judenhass“ von bekennenden Muslimen wie Irfan Khawaja und Khaleel Mohammed (beide aus den USA) von Scheikh Abdul Hadi Palazzi (Italien), Irshan Manji (Kanada), Morad El-Hattab El-Ibramini (Frankreich) und Bassam Tibi (Deutschland) in ein angemessenes Licht. Er listet auch die ehemaligen Muslime, die den muslimischen Antisemitismus explizit bekämpfen, auf: Hirsi Ali, Nonie Darwish, Wafa Sultan, Mark Gabriel, Ibn Warraq, Kamel Asl-Najjar und andere.
Das „entscheidende Problem“ liege darin, dass weder die eine noch die andere Gruppe eine nennenswerte Zahl von Anhängern aufweisen kann. „Der erste und wichtigste Schritt”, schreibt Kressel überzeugend, „besteht darin, die Welt für die muslimischen Kritiker des Antisemitismus sicherer zu machen – physisch sicher, sozial sicher, organisatorisch sicher, ja selbst akademisch sicher.“ (201)
Neil J. Kressel vergleicht sein Buch mit der berühmten Streitschrift „J’accuse“ des französischen Romanciers Émile Zola, die mit seiner Parteinahme gegen den Antisemitismus eine Wende in der französischen Dreyfus-Affäre herbeiführte. Dieser Vergleich ist einleuchtend, wenn man ihn auf den anklagenden Tonfall des Autors bezieht, auf die atemlose Darlegung dieses so ungeheuren Skandals. Er ist weniger überzeugend, wenn man ihn auf Zolas Wirkung in Frankreich bezieht.
Es ist schade, dass Kressels Buch eine vergleichbare Wirkung nicht erzielt: Aus jenen Gründen, die der Autor so überzeugend beschreibt.
Neil J. Kressel, ,The Sons of Pigs and Apes’. Muslim Antisemitism and the Conspiracy of Silence, 269 Seiten, $ 29,95, Potomac Books, Washington D.C., 2012
Am 15. Februar 2013 auf www.matthiaskuentzel.de veröffentlicht.