Neuestes Buch:
Nazis und der Nahe Osten
Wie der islamische Antisemitismus entstand
Über "Killerkommandos", "Agententrupps", "Zauberwaffen" und ein "Talmud-Gebot"
Hamburg, den 5. März 2012
Dies sind aufregende Tage: Wird Iran Atomwaffenmacht werden? Werden Israel und/oder die USA diesen Alptraum verhindern? Haben Sanktionen noch eine Chance? Und – wichtiger, denn je: Wird Deutschland, das die Sicherheit Israels zum Bestandteil seiner Staatsräson erklärt, den jüdischen Staat unterstützen?
Wohl kaum! – erklärte Henryk M. Broder am 4. März 2012 in der „Welt am Sonntag“. „Die historische Verantwortung Deutschlands erschöpft sich darin, ,die Erinnerung an den Holocaust wachzuhalten‘, nicht etwa die kommende Endlösung der Nahostfrage zu verhindern. … Bei einer Emnid-Umfrage vom November 2011 waren sich 70 Prozent der Befragten der ,ernsthaften Gefahr‘ bewusst, die das iranische Atomprogramm für Israel bedeutet, dennoch sprachen sich 83 Prozent dafür aus, dass Deutschland neutral bleibt, falls es zu einem militärischen Konflikt zwischen Israel und dem Iran kommen sollte.“
Eine Probe aufs Exempel ist die heutige Ausgabe des SPIEGEL, dessen Titel unter der Schlagzeile „Irans geheimes Atom-Programm – Krieg um die Bombe?“ einen hämisch lachenden Mahmoud Ahmadinejad zeigt, der in Messias-Pose einem riesigen Atompilz entsteigt.
Der Tenor dieser Titelgeschichte trägt schwerlich dazu bei, das Verständnis für einen Staat, dessen Existenz nach dem Willen der iranischen Machthaber ausgelöscht werden soll, zu erhöhen. Von einer neutralen Darstellung kann ebenfalls keine Rede sein. Hier wird Israel als Aggressor-Staat gezeichnet, der einst den Krieg gegen Teheran begann:
„Es ist ein unerklärter Krieg, ein Schattenkrieg, den Jerusalem bereits vor vier Jahren eröffnete: Israelische Killerkommandos töten mit Magnetbomben mitten in Teheran iranische Atomwissenschaftler, Agententrupps greifen Militärbasen der Revolutionswächter an und machen sie dem Erdboden gleich.“
Die Tatsache, dass das Mullah-Regime seit drei Jahrzehnten Krieg gegen Israel führt und Raketen- und Suizidangriffe auf den jüdischen Staat finanziert, bleibt ebenso außer Acht wie der ideologischen Kontext der iranischen Atom- und Raketenentwicklung; die Tatsache also, das die nukleare Option die Voraussetzung für die Zerstörung Israels verbessern soll.
Jüdische „Agententrupps“ machen laut SPIEGEL nicht nur ganze Gebäudekomplexe dem Erdboden gleich, sie haben es zugleich auf die Liquidierung der wissenschaftlichen iranischen Elite abgesehen. Vom Mossad aus werde „der versteckte Krieg gesteuert, den Israel gegen Irans Atomprogramm führt und mit dem es dessen Wissenschaftselite ausschalten will.“ Wissen die SPIEGEL-Autoren, was sie hier behaupten? Die letzten bekannten Versuche, eine intellektuelle Elite zielgerichtet auszuschalten, fanden 1939 nach dem Einmarsch der Nazis in Polen und einige Jahrzehnte später in Kambodscha statt …
Um zu erklären, warum jene „Killerkommandos“ in Israel nicht auf Widerstand stoßen, fallen dem SPIEGEL keine rationalen Motiven wie etwa die Sorge um die eigene Sicherheit, sondern die Gebote des Talmud ein: „Kaum jemand in Israel stellt die völkerrechtlich höchst zweifelhafte Liquidierung von Wissenschaftlern in Frage. Und gemäß einer Empfehlung aus dem Talmud („Wenn jemand daherkommt, dich zu töten, steh auf und töte ihn zuerst“) befürwortet auch eine große Mehrheit eine andere Form der Kriegsführung: den digitalen Angriff.“
Mittels dieser „anderen Form der Kriegsführung“ sollen bereits „drei Flugzeuge der Revolutionswächter“ zum Absturz gebracht worden sein – so das Nachrichtenmagazin. Doch damit nicht genug: „Im großen Ausmaß brach im Juni 2009 ein unheimlicher Krieg über Iran herein, eine Zauberwaffe, namens ,Stuxnet‘.“ Die Rede ist hier von einem Computervirus, der die Steuerung der Ultrazentrifugen gezielt zerstörte. Jener „unheimliche Krieg“, der „über Iran hereingebrochen“ sei, droht künftig zu eskalieren: „Schon basteln israelische Experten an einem neuen Schädling, den sie einschleusen wollen.“ (Alle Zitate aus Spiegel Nr. 10/2012, 5. März 2012, S. 82-87)
Abgesehen davon, dass der SPIEGEL seine Behauptungen über „Killerkommandos“ und „Agententrupps“ wie Tatsachen präsentiert, obwohl er keine einzige davon belegt, fällt das besondere Vokabular ins Auge, mit dem er Israels vermeintliche Aktivitäten beschreibt.
Wenn es heißt, dass Israels Juden „neue Schädlinge einschleusen“ und „versteckte Kriege steuern“, die über andere Völker „hereinbrechen“, dann schlagen die Autoren vertraute Saiten an. Dass die Israelis angeblich Gebäudekomplexe „dem Erdboden gleichmachen“, eine ganze „Wissenschaftselite ausschalten“ sowie heimtückisch „Flugzeuge abstürzen“ lassen – und sich bei all dem nicht von realen Bedrohungsszenarien, sondern vom Wortlaut des Talmud leiten lassen – auch dies knüpft an wohlbekannte Projektionen und Argumentationsmuster an.
Die anti-israelische Schlagseite dieser Titelgeschichte, die derzeit mit einer Auflage von fast einer Millionen die Runde macht, wird durch weitere Faktoren verstärkt.
Erstens redet der Artikel das Gefahrenpotential der Atomentwicklung klein: Der iranische Atomkurs sei „undurchsichtig“, behauptet das Autorenteam. So stütze sich die IAEA bei ihrer Behauptung, „dass sie eine ,militärische Dimension‘ des iranischen Atomprogramms nicht ausschließen“ könne, lediglich auf Indizien. Tatsächlich aber erklärte letzten November die IAEA „dass Iran Tätigkeiten ausgeführt hat, die für die Entwicklung eines nuklearen Sprengkörpers bedeutsam sind.“
Zweitens schließt die Titelstory mit einer Exklusiv-Sensation, bei der sich das Autorenteam auf ganz besondere Quellen stützt: auf „jene, die [Revolutionsführer] Chamenei und seinen engsten Beratern nahestehen“. Ihnen zufolge sei Chamenei eigentlich sehr an Frieden interessiert: „Er setze auf die Zeit nach Ahmadinejad, heißt es aus Teheran. … Mit einem künftigen Regierungschef, der das Vertrauen des Revolutionsführers genießt, halten Kenner auch eine Lösung des Atomkonflikts für möglich.“
Hier war der Wunsch der Vater des Gedankens. Offenkundig soll Israel, anstatt „die ohnehin instabile Region an den Rand des Abgrunds (zu) führen“ in einer Frage von Sein oder Nichtsein besser jenen SPIEGEL-Quellen, „die Chamenei und seinen engste Beratern nahestehen“ vertrauen und bis Juni 2013, dem Zeitpunkt der nächsten Präsidentenwahl warten. Die Tatsache, dass eben jener Revolutionsführer sämtliche Entspannungsofferten Barack Obamas zurückgewiesen hatte, fällt unter den Tisch.
Drittens blendet diese Titelstory den ideologischen Aspekt des iranischen Atomwaffenprogramms, z.B. die Vernichtungsdrohung gegen Israel, aus. Die Frage, warum das Regime jedes erdenkliche Opfer erbringt, um der Bombe näher zu kommen, gilt den Autoren offenkundig als uninteressant. Dass auf Teherans Agenda auch expansive Ziele stehen, scheinen lediglich „die Falken im Westen“ zu behaupten. Anders der SPIEGEL: Die Warnung vor „einer möglichen Attacke auf die israelische Nuklearanlage bei Dimona“, heißt es hier, stoße Teheran „deshalb aus, … weil es sich plötzlich von Gegnern umstellt sieht“, aus defensiven Gründen also. Zudem laste „auf der persischen Seele … auch eine Art kollektives Minderwertigkeitsgefühl.“
Wie ist die außerordentliche Parteilichkeit dieses Beitrags zu erklären? Warum wird im größten wöchentlichen Nachrichtenmagazin der antisemitische Auslöschungswille des iranischen Regimes so nonchalant übergangen?
Broder erklärt den Mangel an Verständnis für das Überlebensinteresse Israels mit einem psychologischen Reflex: „Israel ist im Wellness-Bewusstsein der Deutschen ein Störfaktor. Ein Stachel im Fleisch, ein Steckschuss, der immer wieder Schmerzen verursacht“, schreibt er am angegebenen Ort. „Israel erinnert die Deutschen … täglich daran, dass es den Holocaust gegeben hat.“
Broder illustriert diese These mit einem Zitat aus Rainer Werner Fassbinders Theaterstück „Der Müll, die Stadt und der Tod“, in dem dieser den Antisemiten Hans von Gluck sagen lässt: „Und Schuld hat der Jud, weil er uns schuldig macht, denn er ist da. Wär er geblieben, wo er herkam, oder hätten sie ihn vergast, ich könnte heute besser schlafen. Sie haben vergessen, ihn zu vergasen. Das ist kein Witz, so denkt es in mir.“
Tauscht man den „Jud“ gegen Israel aus, fährt Broder fort, „hat man den schmalen Grat vom Antisemitismus zum Antizionismus überschritten. Und schon wähnt man sich auf der vermeintlich sicheren, politisch-korrekten Seite.“
Ich will nicht darüber spekulieren, was sich die Autoren und Korrektoren der SPIEGEL-Titelgeschichte bei den oben zitierten Formulierungen dachten – ob da vielleicht „etwas in ihnen dachte“, ob sie dem Publikumsgeschmack entgegenarbeiten wollten oder was immer sonst.
Sicher aber ist, dass Broders These vom „Störfaktor Israel“ stimmt. „Auf die Frage, ob man bei der Politik, die Israel mache, gut verstehen könne, dass man Juden nicht mag, antworteten in Deutschland 35,6 Prozent der Befragten mit Ja“, erläuterte letzten Oktober die Bundeskanzlerin höchstpersönlich in ihrer Rede aus Anlass des zehnjährigen Bestehens des Berliner Jüdischen Museums. „Hinzu kommt die Einschätzung von fast 60 Prozent aller Europäer, die laut einer vor einigen Jahren durchgeführten Studie meinten, dass die größte Bedrohung für die Welt von Israel ausgehe, nicht etwa von Nordkorea oder vom Iran.“ In Deutschland lag der Anteil derer, die diese Wahnvorstellung teilten, bei 65 Prozent.
Sicher ist aber auch, dass eine unparteiische Berichterstattung gewisse Unterschiede zwischen Israel und Iran zu beachten hat. Dazu gehört erstens der Umstand, dass die Mullahs ihre Abenteuer der eigenen Bevölkerung diktatorisch aufzwingen, während sich Israels Regierung demokratisch legitimiert. Dazu gehört zweitens die Tatsache, dass nicht Israel Iran, sondern dass die Islamische Republik Israel auslöschen will.
Drittens kann Teheran zur Begründung seines Israelhasses weder einen Territorialkonflikt noch ein Flüchtlingsproblem oder eine Sicherheitsgefährdung vorweisen. Die Sehnsucht der iranischen Machthaber, Israel zu vernichten, ist antisemitisch motiviert.
Viertens aber zeichnet sich der antisemitische Krieg durch eine Besonderheit aus: Er will nicht das Verhalten von Juden verändern oder ihnen Reichtümer und Ländereien wegnehmen, wie das in Kriegen sonst der Fall zu sein pflegt – er will sie vernichten.
Sein oder Nichtsein des jüdischen Staats – mit dieser Frage ist in diesen aufregenden Tagen Israels Regierung konfrontiert. Dieselbe Frage stellt sich aber auch für uns: „Bald könnte auch die Bundeskanzlerin an ihren erstaunlich wenig beachteten, in seiner Tragweite aber schwer zu übertreffenden Satz erinnert werden, die Sicherheit Israels sei Teil der deutschen Staatsräson“, schreibt heute Berthold Kohler, der Herausgeber der FAZ. (FAZ, 5. März, 2012)