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Nazis und der Nahe Osten
Wie der islamische Antisemitismus entstand
Besondere Beziehungen zu Israel oder besondere Beziehungen zu Iran? Berlin muss sich entscheiden
Welt am Sonntag, 27. November 2011
Es gibt Sätze, die können Kriege auslösen. Dazu gehört der Satz, den die Internationale Atomenergie-Agentur am 8. November 2011 formulierte: „Die Informationen weisen darauf hin, dass Iran Tätigkeiten ausgeführt hat, die für die Entwicklung einer nuklearen Sprengvorrichtung bedeutsam sind.“
Anders als ursprünglich angenommen, hat Iran sein Atomwaffenprogramm nach 2003 fortgesetzt: Die Machthaber erforschten die Umwandlung von Uranmetall in eine für Sprengköpfe geeignete Form, sie untersuchten den komplizierte Zündmechanismus der Atombombe und kümmerten sich um die Voraussetzungen für einen Atomwaffentest.
Nun ist Iran aber nicht irgendein Land. Es ist der einzige Staat dieser Erde, der Antisemitismus und Holocaustleugnung als Regierungsprogramm praktiziert und die Zerstörung eines anderen Landes propagiert.
Gewiss, die Welt hat sich seit 1945 an die Vorstellung von Atomwaffen im Besitz von säkularen oder halb-säkularen Mächten gewöhnt. Warum aber treibt Iran sein Atomprogramm um wirklich jeden Preis voran? Irans Präsident Mahmut Ahmadinejad beantwortet diese Frage im August 2007 so: „Die Nuklearisierung Irans ist der Beginn einer grundlegenden Veränderung in der Welt“. Irans Atomtechnik, so versprach er weiter, werde „in den Dienst derer gestellt, die entschlossen sind, den brutalen Mächten und Aggressoren entgegenzutreten.“
Diese Aussage zeigt, dass das iranische Atomwaffenprogramm nach Vorstellung seines Präsidenten nicht der Verteidigung dient. Sie führt zudem vor Augen, dass Iran seine nuklearen Fähigkeiten an andere Regimes oder Bewegungen weitergeben will.
Irgendwelche Zweifel, an welchem Punkt der Erde die „grundlegenden Veränderungen“ beginnen sollen, gibt es nicht: „Das zionistische Regime wird wegradiert und die Menschheit befreit werden“, versprach der iranische Präsident den Teilnehmern der Holocaustleugner-Konferenz im Dezember 2006 in Teheran.
Mehr noch: Hat der iranische Revolutionsführer erst einmal die Atombombe, wird man ihn schwerlich entwaffnen und seiner Macht berauben können, ohne dass es zum Einsatz dieser Bombe kommt. Die Welt stünde vor der Wahl, ein fanatisches Regime immer weiter gewähren zu lassen, oder über dieses zu siegen – dann aber zu einem unvorstellbar hohen Preis.
Es gibt Sätze, die können einen Krieg auslösen. Der oben zitierte hat die Stunde, in der amerikanische und/oder israelische Jets aufsteigen, um Irans Atomanlagen zu zerbomben, in bedrohliche Nähe gerückt. Immer klarer kündigt sich das kleine Desaster, das dem großen Desaster vorbeugen soll, an.
Oder wird sich die Weltgemeinschaft doch noch dazu aufraffen, all die nicht-militärischen Instrumente anzuwenden, die nach Auskunft der UN-Charta einzusetzen sind, um ein Regime wie das iranische zur Räson zu bringen? Diese Maßnahmen schließen nach Kapitel VII, Artikel 41 der Charta „die vollständige oder teilweise Unterbrechung der Wirtschaftsbeziehungen, des Eisenbahn-, See- und Luftverkehrs, der Post-, Telegraphen- und Funkverbindungen sowie sonstiger Verkehrsmöglichkeiten und den Abbruch der diplomatischen Beziehungen ein.“
Im Moment sieht es nicht danach aus. Im Gegenteil: Der Sechserkreis, bestehend aus den fünf ständigen Mitgliedern im UN- Sicherheitsrats plus Deutschland, dem die Iran-Akte einst anvertraut wurde, ist sich uneiniger denn je.
Deutschland duckt sich weg
Da sind auf der einen Seite China und Russland. Sie scheinen sich mit der iranischen Atombombe abgefunden zu haben und lehnen die Massierung des Drucks auf Teheran ab. China fühle „sich durch die Aussicht eines atomwaffenfähigen Irans nicht bedroht“, erklärt eine neue Studie des renommierten Atlantic Council mit Sitz in Washington: „Einige Vertreter der chinesischen verteidigungspolitischen Elite würden eine Atommacht Iran sogar begrüßen … falls diese die USA dazu zwänge, substanzielle Militärkräfte in der Golfregion zu belassen, anstatt in Ostasien.“ Vergleichbare Überlegungen dürften auch im Kreml kursieren.
Da sind auf der anderen Seite Großbritannien, Frankreich und die USA. Sie erhöhten am vergangenen Montag abrupt ihren Druck auf Teheran. Am 21. November verschärften die USA ihre Sanktionen gegen die iranische petrochemische Industrie. Am selben Tag rief Frankreich dazu auf, den Ankauf iranischen Öls zu beenden und sämtliche Konten der iranischen Zentralbank zu sperren, während Großbritannien jedwede finanzielle Zusammenarbeit mit Iran mit sofortiger Wirkung untersagte.
Da ist last but not least Deutschland, das mitten zwischen diesen Lagern auf der Stelle zu treten scheint. Die westlichen Vorschläge gingen zwar „in die richtige Richtung“, hieß es im Auswärtige Amt, sie müssten zunächst jedoch „intensiv geprüft“ werden. Der außenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Rolf Mützenich, zeigte sich gar enttäuscht: „Dass jetzt einzelne Regierungen bei weiteren Sanktionen gegenüber dem Iran vorangehen, ist bedauerlich.“ Eigene Vorschläge, wie auf die Zuspitzung der Situation reagiert werden solle, hörte man nicht.
Dabei sitzt gerade die Bundesregierung genau an jener Weiche, deren Stellgewicht in die eine oder die andere Richtung geschoben werden kann. In Richtung Israel oder in Richtung Iran?
Warum gerade Berlin?
Ein wesentlicher Grund liegt darin, dass Deutschland schon in den Zwanzigerjahren der Begründer der jungen persischen Industrie gewesen ist, weshalb bis heute zwei Drittel der iranischen Industrieunternehmen und drei Viertel der kleinen und mittelständischen Betriebe mit Maschinen und Anlagen deutschen Ursprungs arbeiten. „Die Iraner sind durchaus auf deutsche Ersatzteile und Zulieferer angewiesen“, betonte deshalb Michael Tockuss, der ehemalige Präsident der Deutsch-Iranischen Industrie- und Handelskammer in Teheran. Man kann sie ihnen weiter liefern oder sie bis auf Weiteres verweigern.
Damals wurde Persien von einem Mann regiert, der die Deutschen liebte: Reza Schah. Er verfügte, dass 70 deutsche Beamte die iranische Staatsbank leiteten. Er sorgte dafür, dass alle Maschinen für den Bergbau, für die Zementindustrie, für die Papier- und Textilindustrie et cetera aus Deutschland importiert wurden. Anfang der 40er Jahre erreichte diese Entwicklung ihren Höhepunkt. Jetzt kamen 43 Prozent aller iranischen Einfuhren aus Deutschland, während 47 Prozent aller iranischen Ausfuhren an den Nazistaat gingen.
Das Jahr 1945 markierte in den bilateralen Beziehungen keine Zäsur. Schon 1952 war Westdeutschland der stärkste Handelspartner des Regimes unter Mohammed Reza Schah. Es konnte diese Position bis 1979 fast ausnahmslos halten.
Obwohl sich Westdeutschland als Vorranglieferant des Schahs bei dessen Gegnern diskreditiert hatte, blieben deutsche Technik und deutsche Industrie auch unter Khomeini hoch begehrt. „Güter aus Deutschland genießen im Iran traditionell eine hohe Beliebtheit und werden Produkten aus anderen Ländern bevorzugt“, erklärte Dr. Ranjbaran, Vorstandsmitglied der Deutsch-Iranischen Industrie-und Handelskammer zu Teheran noch im November 2010. „Dieses Vertrauensverhältnis wurde in Jahrzehnte langer, enger Kooperation zwischen deutschen und iranischen Akteuren aufgebaut.“
1984 hatte Hans-Dietrich Genscher als erster westlicher Außenminister den Mullahs seine Aufwartung gemacht. In den Neunziger Jahren wurden die Beziehungen weiter intensiviert. Die zwischenstaatlichen Kontakte, behauptet Hossein Mousavian, der damalige iranische Botschafter in Deutschland, hätten sich derart intensiv gestaltet, dass „zwischen Oktober 1990 und 1996 mehr als 300 Delegationen … die Länder wechselseitig besuchten; Delegationen aus den Bereichen Politik, Wirtschaft, Kultur und Parlament.“
Damals bereits lagen US-Präsident Bill Clinton und Bundeskanzler Helmut Kohl wegen des iranischen Atomprogramms im Streit. Deutschland wollte den amerikanischen Versuch, Iran durch ökonomische Pressionen von der Weiterverfolgung seiner Atompläne abzubringen, vereiteln. Teheran war sich „über Deutschlands bedeutende Rolle bei der Sprengung der ökonomischen Ketten, mit denen die USA den Iran umgeben, bewusst“, schreibt Hossein Mousavian.
Das vorletzte Kapitel dieser Kontroverse setzte mit Obamas Wahlsieg ein, hatte sich dieser doch die Annäherung zwischen Washington und Teheran zum Ziel gesetzt. Obamas Linie erleichtere es Deutschland, „an seiner grundlegenden Position der Nicht-Ausgrenzung Irans festzuhalten“, erläuterte im Mai 2009 eine Studie der „Stiftung Wissenschaft und Politik“. Jetzt müsse neuer Mut geschöpft und die Zusammenarbeit mit Iran, wo immer möglich „realisiert und positiv gewürdigt werden.“
Bekanntlich wies Revolutionsführer Ali Khamenei Obamas ausgestreckte Hand brüsk zurück. „Iran hat den Weg der internationalen Isolation gewählt“, bedauerte vor wenigen Tagen der amerikanische Präsident. Demgegenüber hält die Bundesregierung bis heute an der Position der „Nichtausgrenzung“ fest, wie ein Blick auf die Tätigkeit der vom Wirtschaftsministerium mitfinanzierten Deutsch-Iranischen Industrie- und Handelskammer in Teheran (DIIHK) zeigt.
Die Deutsch-Iranische Industrie-und Handelskammer expandiert
Diese Kammer dient dem Zweck, „neue Handelsbeziehungen zwischen beiden Ländern zu knüpfen oder bestehende Kooperationen auszuweiten“ sowie „aktiv zur Pflege und Verbesserung der Beziehungen zwischen dem Iran und Deutschland beizutragen.“ Sie rühmt sich, die zweitgrößte Kammer im weltweiten Netzwerk deutscher Außenwirtschaftskammern zu sein. In 2010 musste sie ihre Büroflächen um 100 qm vergrößern.
Allein in 2010 hatte sie mit tatkräftiger Unterstützung der Visa-Abteilung der Deutschen Botschaft 7.000 Vertreter von iranischen Firmen nach Deutschland geschleust, damit diese sich auf deutschen Industriemessen „über neueste Technologien, Neuerungen und Errungenschaften informieren“ und „Geschäftstermine“ wahrnehmen konnten.
Gleichzeitig wurden deutsche Manager, die in Iran „möglichst viele potentielle Geschäftspartner treffen“ wollten, von der kammereigenen „Eventabteilung“ betreut.
Ergänzend publiziert die Kammer alljährlich einen Katalog, in dem deutsche Firmen auf Englisch und Persisch ihre Dienste offerieren. Der Katalog von 2010 listet deutsche Großbetriebe wie Babcock Borsig, Bosch, Carl Zeiss, Deutz, Degussa, Herrenknecht, Kraussmaffei, Linde, Merck und Miele auf, aber auch kleinere Unternehmen wie die Aker Wirth GmbH aus Erkelenz, die für ihre Tunnelbohrer „mit besonderer Berücksichtigung von Anwendungen bei hartem Gestein“ wirbt oder wie die Firma Atlas Terex aus Delmenhorst, die unter dem Motto „Für jeden Einsatz die passende Ausrüstung“ Kranfahrzeuge anbietet – Geräte also, die das Regime nicht zuletzt für öffentliche Hinrichtungen braucht.
Nach einer von der Bundesagentur für Außenwirtschaft im September 2007 vorgelegten Statistik sind deutsche Firmen in sieben von neun Maschinenbausektoren Marktführer in Iran. In den beiden übrigen Sparten führt Italien diese Liste an.
Zwar sind die Iranexporte aus Deutschland in den ersten acht Monaten dieses Jahres im Vorjahresvergleich um 19 Prozent zurückgegangen, doch bewegen sie sich nach wie vor auf einem hohen Niveau: So hat Deutschland nach offiziellen Angaben von Januar bis September 2011 High-Tech-Produkte im Wert von 2,285 Mrd. EUR nach Iran exportiert – ein Anteil von 30 Prozent der aus der Gesamt-EU exportierten Produkte nach Iran. Diese Zahlen zeigen, dass der Versuch des Westens, den Irankonflikt mit einer gemeinsamen Kraftanstrengung nicht-militärisch zu lösen, scheitern wird, sofern die Bundesrepublik ihn unterläuft.
Während Iran auf deutsche und europäische Hilfe angewiesen ist, tendiert die Abhängigkeit der deutschen Industrie gegen Null: Für die Gesamtmenge deutscher Exporte liegt das Iransegment bei ca. 0,5 Prozent und nahm in 2010 die 43. Stelle der Exportländer ein. Diese Relation setzt sich auf europäischer Ebene fort: So stammten 2010 fast ein Viertel aller iranischen Einfuhren aus der EU, aber nur ein Prozent aller europäischer Einfuhren aus Iran.
Bisher stand die Berliner Iranpolitik unter dem Motto: So wenig Sanktionen wie möglich, um deutsche Industrieinteressen zu schützen; so viel Sanktionen wie nötig, um negative Schlagzeilen zu vermeiden. Es war ein Leichtes, für „Geschlossenheit“ zu werben und sich hinter den Bremsern aus Moskau und Peking zu verstecken.
Jetzt sind diese Zeiten vorbei. Jetzt geht es um eine Weichenstellung, die das vorherrschende Paradima der deutsch-iranischen Beziehungen berührt. Wird die Bundesregierung jenes 0,5 Prozent-Segment der deutschen Exportwirtschaft für relevanter erachten, als die Solidarität mit dem Westen und das besondere Verhältnis gegenüber Israel? Oder wird sie die besondere deutsche Beziehung zu Iran in die Waagschale werfen, um dessen Atombewaffnung zu verhindern?